Ellin
Geldis deine Gefährtin gewesen ist, bis sie alt und unansehnlich wurde. Ich habe kein Verlangen danach, ihr Schicksal zu teilen. Du bist ein Uthra, Kylian, und Uthra und Menschen passen nun einmal nicht zueinander.«
Schmerz flammte in seinen Augen auf und so etwas wie Bestürzung. »Ist das wirklich deine Überzeugung?«
Trotzig schob sie das Kinn vor. »Ja. Mir ist klargeworden, dass ich dumm und unvernünftig gewesen bin. Wir sind zu verschieden. Ich bleibe in Huanaco und gehe meinen eigenen Weg, ohne dich.«
Kylian schluckte schwer. Einen Augenblick lang verharrten sie in Schweigen und starrten einander an. In Ellins Inneren tobte ein Sturm, der sie unbarmherzig in seine Richtung trieb. Nur mit eisernem Willen widerstand sie der Versuchung, sich in seine Arme zu werfen.
»Bist du dir wirklich sicher?«, fragte er mit rauer Stimme. »Ich werde nicht betteln.« Sein versehrtes Auge zuckte nervös.
Ellin nickte und bemühte sich, ihrer Stimme Festigkeit zu verleihen. »Das brauchst du auch nicht. Ich bin mir sicher.«
»Dann leb wohl«, erwiderte er leise und verließ die Kammer.
»Leb wohl«, wisperte Ellin.
Die halbe Nacht weinte sie leise vor sich hin, sank nur gelegentlich in einen leichten Schlaf. Im Morgengrauen stand sie auf und packte ihre Sachen zusammen. Nuelia war nicht in die Kammer zurückgekehrt, deshalb erschrak sie, als sie plötzlich hinter ihr stand.
»Du siehst nicht gut aus«, stellte Nuelia fest.
Erschrocken fuhr Ellin herum. »Nuelia. Wo bist du gewesen?«
Gleichmütig zuckte Nuelia mit den Schultern. »Bei meinem Bruder. Ich muss mein Bündel packen, nach dem Morgenmahl verlassen wir Huanaco.«
Überrascht zog Ellin die Augenbrauen hoch. »Heute schon?«
Nuelia nickte. »Auf Kylians Wunsch brechen wir einen Tag früher auf.«
Ellin enthielt sich einer Erwiderung und faltete stattdessen ihre verschlissene Tunika zusammen. Auch Nuelia packte ihre Kleidung zusammen, bevor sie die Sandalen gegen festes Schuhwerk tauschte und den Waffengurt umschnallte. An der Tür hielt sie noch einmal inne. »Du begehst einen Fehler.«
Ellin schnaubte. »Ach wirklich? Egal was ich tue, jeder scheint anzunehmen, dass ich einen Fehler mache und genau aus diesem Grund treffe ich fortan meine eigenen Entscheidungen.«
»Ich weiß nicht, was zwischen meinem Bruder und dir vorgefallen ist, doch du hast ihn zutiefst verletzt, Ellin.«
Äußerlich ungerührt packte Ellin weiter ihre Sachen zusammen. Sie wollte nicht, dass Nuelia merkte, wie sehr der Abschied sie schmerzte. »Kylian hat mich ebenso tief verletzt. Ich denke, dass deine Gründe, mich in die Arme deines Bruders zu treiben, nicht ganz uneigennützig waren.«
Nuelia nahm ihr Bündel vom Rücken und stellte es auf den Boden. »Das musst du mir erklären.«
Ellin hielt inne und zwang sich, Nuelia anzusehen. »Du willst nicht mehr für deinen Bruder verantwortlich sein und du willst, ebenso wie er, eine Seherin in eurer Gruppe. Wer käme da gelegener als ich?«
Nuelia machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das ist Unsinn. Wenn du uns für derart berechnend hältst, dann ist deine Menschenkenntnis nicht halb so gut, wie ich dachte. Sieh mich an, Ellin, sieh auf meine Aura.« Sie breitete die Arme aus und drehte sich einmal um sich selbst. »Ist dies die Aura von jemandem, der dir Schlechtes will?«
»Es ist nicht nur das«, erwiderte Ellin, verzweifelt um eine Ausrede bemüht. »Ihr seid Uthra und ich bin ein Mensch. Wie könnte ich mein kurzes Leben mit dem von Kylian verbinden? Das kann niemals gutgehen. Ich will nicht enden wie Geldis.«
»Ah, jetzt verstehe ich«, sagte Nuelia. »Jesh hat dich mit Halbwahrheiten gefüttert. Warum hörst du auf ihn? Er ist nur ein eifersüchtiger Dummkopf.«
»Was er ist und warum er mir offenbart hat, dass Geldis und Kylian das Lager geteilt haben, ist bedeutungslos. Meine Entscheidung steht fest, ich bleibe in Huanaco.«
Nuelia seufzte resigniert. »Wie du willst, vielleicht ist es tatsächlich besser so. Wer weiß, wie lange unserer Gruppe noch zusammenbleibt, jetzt, wo Butan und Geldis tot sind und Kylian und Jesh einander im Zorn begegnen.«
»Es ist ganz sicher besser. Ich wäre nur eine Last auf eurem Weg«, stimmte Ellin zu. So schwer es auch fiel, sie musste stark bleiben.
»Also dann. Ich wünsche dir alles, was du dir wünschst«, sagte Nuelia.
Ellin verzog das Gesicht, ihre Augen schwammen in Tränen. »Ich dir auch, Nuelia und ich hoffe, dass wir uns eines Tages wiedersehen.«
Nuelia
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