Ellin
nicht, Herr, doch ich bin ein erfahrener Kämpfer, der das Vertrauen der Herrscherin genießt und so übertrug sie mir die Aufgabe, für Eure Sicherheit zu sorgen.«
Fortas beugte sich vor und beäugte Kylian argwöhnisch. »Das ist in der Tat sehr freundlich von meiner Schwester, doch frage ich mich, warum sie meinen Besuch erbittet, anstatt umgekehrt. Fürchtet sie um ihre Sicherheit? Ist Kismahelia etwa kein Ort der Gastfreundschaft und des Willkommens für sie?«
Kylians Anspannung wuchs. Das Verhältnis der Geschwister war weniger vertraut, als er gehofft hatte. Die vielen Jahre ihrer getrennten Herrschaft hatten sie einander entfremdet. Gedachte man der Familiengeschichte der al Suranis, dann war es nicht verwunderlich, dass ihre Blutsverwandtschaft von gegenseitigem Misstrauen geprägt war.
»Die Wege sind unsicher, Herr. Kürzlich erst verlor sie wertvolle Güter wegen eines dämonischen Talanisfeldes. Sie fürchtet um ihr Leben und hofft, dass Ihr über mehr Mut verfügt als sie.« Kylian hoffte inständig, dass Fortas seine Worte nicht als das entlarven würden, was sie waren: eine dreiste Lüge.
Fortas’ Lachen hallte durch den Saal, hell und seidig wie das Lachen einer Frau. Die neben dem Thron kauernden Untergebenen stimmten mit ein und kicherten leise. Kylian fiel auf, dass es sich ausnahmslos um gutaussehende, leicht bekleidete Männer handelte, die sich in Hautfarbe, Größe und Statur derart voneinander unterschieden, als hätte Fortas sie nur aufgrund ihrer Vielfalt und ihres angenehmen Äußeren in seine Dienste genommen.
Die einzige Frau im Saal stand zu seiner Rechten. Sie war von kleinem Wuchs, schmal, mit langem, weißem Haar, das wie Fäden aus gesponnenem Schnee anmutete. Die dunklen Augen unter den fast unsichtbaren Augenbrauen musterten die Anwesenden aufmerksam. Wäre sie nicht die einzige Frau inmitten einer Reihe überaus ansehnlicher Männer, hätte sie Kylian wohl kaum bemerkt, so trist wirkte ihr Äußeres. Nur das seltsame Haar zog die Blicke auf sich. Sie beugte sich zu Fortas hinab und flüsterte ihm etwas ins Ohr, woraufhin er noch ein wenig lauter lachte.
Kylian blickte sich unauffällig um, erwog die Möglichkeit, den Herrscher auf der Stelle zu töten. Die Leibwachen wirkten unaufmerksam. Die verweichlichten Vasallen hatten nur Augen für ihren Herrn und hätten Kylian sowieso nichts entgegenzusetzen, einzig die Frau schien ein scharfes Auge auf ihn zu haben. Er versuchte einzuschätzen, zu was sie fähig war. War sie eine Kämpferin, wie Nuelia, oder eher eine weise Beraterin? Unter dem weiten Kleid war nicht zu erkennen, ob sie stramm und kräftig war, doch sie trug einen Waffengurt mit einem Dolch. Kylians Hand wanderte zu seinem Schwertknauf. Sollte er es wagen?
Fortas stemmte sich hoch und trat auf ihn zu. »Steht auf, Kylian.«
Kylian erhob sich, hielt aber weiterhin den Kopf gesenkt.
»Ich werde über Nosaras Ansinnen nachdenken. Ein Diener wird Euch in Eure Kammer geleiten. Ich erwarte Euer Erscheinen, wenn der Nordstern am Himmel erblüht. Wir werden gemeinsam speisen. Vielleicht könnt Ihr mir im Anschluss eine kleine Kostprobe Eures Könnens liefern, um Eure Fähigkeiten als mein Beschützer unter Beweis zu stellen.« Er wedelte mit der Hand zum Zeichen, dass er entlassen war. Kylian verneigte sich und verließ den Saal. Er hatte die Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen. Warum? Je länger er wartete, umso größer war die Gefahr, enttarnt zu werden.
Die scharfen Blicke der Frau, die ihm folgten, ahnte er mehr, als dass er sie sah.
»Was schaust du so ernst, Bela? Gefällt dir unser Gast etwa nicht?«, hörte er Fortas beim Hinausgehen sagen.
Gerne hätte er innegehalten, um den beiden zu lauschen, doch der Diener, der ihn in seine Kammer geleitete, drängte ihn vorwärts. Eines war gewiss. Die Vertraute des Herrschers misstraute ihm und ihrem Blick nach zu urteilen würde sie ihn lieber tot sehen als in der Nähe ihres Herrn.
24
D er vernarbte Tisch war übersäht mit dunklen Flecken verschiedenster Herkunft. Fettspritzer, Tinte, sogar braune Reste getrockneten Blutes trugen zum unappetitlichen Äußeren bei. Unzählige Gesetzesbrecher hatten schon an diesem Tisch gesessen und auf ihr Urteil gewartet. Ellin hockte auf einem Schemel. Zerzaust, ungewaschen und bleich und starrte auf das schartige Holz. Die Haut über ihrem Nasenbein war noch immer geschwollen und ein dunkler Bluterguss zog sich bis unter ihr linkes Auge. Ihr gegenüber saß der
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