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Ellin

Ellin

Titel: Ellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Millman
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fiel das Messer ein, welches ihr Affra eingepackt hatte. So schnell sie es wagte, kroch sie zu ihrem Bündel, schob die Hand in die Öffnung und tastete nach der Klinge. Das Grollen und Knurren rührte sich, kam näher. Sie verharrte in der Bewegung, hielt den Atem an und suchte die Bäume ab. Ihre Augen entdeckten zwei bleiche Pupillen, die direkt in ihre Richtung blickten. Blindes Glühen in der Dunkelheit.
    Oh Göttin des Erbarmens steh mir bei. Die Augen bewegten sich, umkreisten sie und näherten sich, langsam doch unablässig. Sie zwang ihre Finger, weiter nach dem Messer zu tasten, während sie jede Bewegung des Augenpaares verfolgte. Endlich fand sie, was sie suchte. Sie umfasste den Messergriff und zog ihn aus dem Bündel. Die Kreatur schlich um sie herum, lauernd, ohne auch nur ein einziges Mal zu blinzeln. Wie bleiche Sterne schwebten die Pupillen in der Finsternis. Warum zögerte die Kreatur? Worauf wartete sie?
    Ellin erhob sich und wich zurück, die Helligkeit des Feuers hüllte sie ein. Hitze brannte sich in ihre Haut. Mittlerweile war sie dem Feuer so nah, dass sie aufpassen musste, um nicht in die Flammen zu treten.
    Flammen. Feuer.
    Hatte Lord Wolfhard nicht erzählt, dass Tiere Angst vor Feuer hatten? Sie wagte einen schnellen Blick hinter sich, suchte nach einem Ast, der weit genug aus den Flammen ragte, dass sie ihn herausziehen und als Fackel benutzen konnte. Die Kreatur gab einen zischenden Laut von sich, als ahnte sie, was Ellin plante. Ganz langsam ging sie in die Knie und griff nach dem brennenden Ast, ohne dabei die Kreatur aus den Augen zu lassen, die nun in den äußeren Lichtkreis trat. Das Vieh beobachtete jede ihrer Bewegungen, böse und hungrig, bereit zum Sprung. Die fahlen Pupillen, wie die Augen eines Blinden.
    »Komm schon«, wisperte Ellin, während sie das Messer in der einen und die Fackel in der anderen Hand hielt. »Zeig mir deine hässliche Fratze.«
    Und das tat sie.
    Mit einem Satz sprang die Kreatur auf sie zu und kam zwei Schritte vor ihr zum Stehen. Sie war hüfthoch und stämmig. Ihr geöffnetes Maul offenbarte eine Reihe fingerlanger Reißzähne, von denen schaumiger Geifer triefte. Die lederartige, blasse Haut schimmerte durch das schmutzig-braune Fell, nur vom Kopf bis in den Nacken hinunter war das Fell dicht und lang und von kräftigem Gelb. Die Beine der Kreatur waren faltig und nackt.
    Ellin wich zurück, hielt das Messer in der ausgestreckten Hand. Die Klinge vibrierte, weil sie so zitterte. Die Kreatur folgte ihr schnüffelnd. Geschmeidig setzte sie ihre Tatzen auf den Boden. Ruckartig stieß Ellin den brennenden Ast vor und schrie. Fauchend wich das Vieh zurück. Ehe die Kreatur sich sammeln konnte, stieß sie die Fackel erneut vor. Wieder wich die Kreatur zurück. Ihre Pupillen verengten sich vor Zorn und sie stieß einen donnernden Schrei aus, der in Ellins Ohren dröhnte wie die Donnerschläge der gefürchteten vecktanischen Gewitterstürme. Die Krallen bohrten sich in das Erdreich, rissen bei jedem Schritt Moos und Erdklumpen heraus. Obwohl ihr das Blut in den Adern gefror, ignorierte Ellin das Gebrüll, schwang die Fackel vor der gierigen Fratze herum und trieb die Kreatur vor sich her. Immer wieder tapste das Vieh nach vorn, nur um einen Augenblick später zurückzuweichen, schwankend zwischen unbändigem Zorn und Angst. Ellin schüttelte die Fackel. Ein Funkenregen ergoss sich über der Kreatur, versengte das Fell. Sie knurrte und jaulte, wich zurück, bis sie schließlich mit einem weiteren donnernden Schrei in der Dunkelheit verschwand.
    Ellin starrte ihr nach, Schweißperlen auf der Stirn und kaum noch in der Lage, aufrecht zu stehen. Sie zitterte am ganzen Leib und begrüßte die dicken Tropfen, die von den Blättern trieften. Sie wollte auf den Waldboden sinken und in die Dunkelheit gleiten, doch die Angst davor, dass die Kreatur zurückkehren könnte, hielt sie auf den Beinen. Wie durch ein Wunder hatte sie überlebt, also sollte sie zumindest versuchen, einen sicheren Schlafplatz zu finden.
    Wachsam und angespannt packte sie ihr Bündel zusammen, erstickte das Feuer, nicht ohne zuvor eine Fackel zu entzünden, und begab sich auf die Suche nach einem Baum. Die meisten hatten keine Äste in Bodennähe, andere wiederum waren zu klein um ihr Gewicht zu tragen oder nicht hoch genug, um ausreichend Schutz zu bieten. Endlich fand sie einen Baum, dessen warzenähnliche Verwachsungen das Klettern ermöglichten. Sie löschte die Fackel, setzte den Fuß

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