Ellin
Haut.
Der Tulpa verzog das Gesicht und stieß einen klagenden Laut aus. »Sie will Kismahelia unterwerfen«, stieß er gequält hervor.
Bela schnaubte abfällig. »Dafür benötigt Nosara mehr als eine Handvoll Tulpa. Wie viele hat sie erschaffen?«
Unan zuckte mit den Schultern.
»Viele«, antwortete Dau schnell.
»Wie viele?«
Unan warf Dau einen warnenden Blick zu. Dau schüttelte den Kopf.
»So viele wie die Zahl der Finger an den Händen von zehn Männern«, sagte er.
Hundert? Erschrocken schlug Ellin die Hand vor den Mund.
Bela verengte die Augen zu Schlitzen. »Das kann unmöglich sein. Wie hat sie es geschafft, so viele von euch zu erschaffen? Und warum habt ihr euch nicht gleich an ihr gerächt?«
Die Tulpa zuckten die Schultern.
»Ich warte«, sagte Bela und bewegte die Scheibe gerade so viel, dass der Lichtstrahl direkt vor Unans Gesicht vorüberzuckte.
Er bleckte die Zähne und grollte leise. »Gebt uns frei«, zischte er.
»Antwortet mir, dann gebe ich euch frei«, erwiderte Bela.
Unan fixierte sie. »Ihr lügt.«
Bela grinste. »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wenn ihr jedoch nicht antwortet, sterbt ihr auf jedem Fall.«
Sie bewegte ihre Lippen, wie zu einem stillen Gebet und anschließend die Scheibe. Das Licht traf auf Unans Wange. Sofort bildete sich eine dunkle Stelle, die rasch größer wurde. Schwarze Rauchkringel stiegen empor. Unan schrie und versuchte, dem Strahl zu entfliehen, der sich unbarmherzig durch sein Gesicht fraß.
»Hört auf«, rief Dau. »Ich sage Euch, was Ihr wissen wollt.«
Bela hielt inne. »Ich höre.«
»Der Wille der Herrscherin ist unbeugsam und stark und ihr gesegnetes Blut half ihr dabei, so viele von unserer Art zu erschaffen. Es bereitete ihr Vergnügen, zu sehen, wie aus ihrem Geist heraus unbesiegbare Wesen entstanden. Sie hat uns durch ihren Willen erschaffen und nur durch ihre Hand können wir vergehen. Wenn sie stirbt, müssen wir mit ihr sterben, deswegen wagten wir es nicht, uns zu rächen«, sagte Dau. »Nun gebt uns frei.«
Bela warf einen Blick in die Runde. Jeder wusste, was diese Worte bedeuteten. Nosara musste sterben, um die Tulpa mit einem Schlag zu vernichten. Sie lächelte zufrieden und nickte den Soldaten und Jesh zu, woraufhin sie einen Schritt vortraten und den Kreis enger zogen. So eng, dass Unan und Dau nun inmitten des gleißenden Lichts standen.
»Tut mir leid«, sagte Bela kalt. »Aber gehenlassen kann ich euch nicht.«
Das Licht fraß sich durch die Leiber der Tulpa wie Feuer durch Papier. Schreckliche Schreie ausstoßend, hoch und schrill, wie ein sterbendes Tier, wanden sie sich in Agonie. Das Kreischen hallte von den Felsen wieder, vervielfältigte sich und drang von allen Seiten auf die Gruppe ein. Die Tulpa lösten sich auf in einer Rauchwolke aus Klagen und Vergänglichkeit.
Ellin wollte die Hände auf die Ohren pressen, doch da sie das Tuch festhalten musste, war sie gezwungen, die Todesschreie mitanzuhören. Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass Unan und Dau sterben mussten. Sie waren gefährlich und unmenschlich, ohne Gewissen, doch im Angesicht ihres qualvollen Todes verspürte sie so etwas wie Mitleid für diese verlorenen Kreaturen und wünschte sich, Nosara hätte den Mut besessen, es selbst zu tun.
Ewig, so schien es Ellin, dauerte es, bis die Tulpa verglühten und zu Asche zerfielen. Belas selbstgefälliges Grinsen brannte sich zusammen mit den Todesschreien in ihr Gedächtnis, und sie fragte sich, ob nicht die Menschen die wahren herzlosen Kreaturen auf dieser Welt waren.
»Wir brechen sofort auf«, befahl Bela, nachdem es vollbracht war. »Der ehrwürdige Herrscher muss es so schnell wie möglich erfahren.«
Alle gingen davon, nur Ellin hielt einen Augenblick inne und blickte auf das schwarze Häufchen, das einst Unan und Dau gewesen war. Eine Brise wirbelte die Asche auf und wehte sie davon.
Am Abend, bevor sie Kismahelia erreichten, suchten sie Schutz in der Scheune eines nahegelegenen Weilers, denn ein Gewittersturm kündigte sich an. Riesige Wolkenberge verdunkelten den Himmel, machten den Tag zur Nacht. Blitze zischten über den Horizont. Kaum hatten sie dem Bauern zwei Prasis überreicht und den Unterschlupf betreten, begann es zu regnen als hätten die Götter einen Damm niedergerissen, dessen entfesselte Kraft sich nun über sie ergoss.
Die gleißenden Blitze durchschnitten die Finsternis wie feurige Schwerter, gefolgt von ohrenbetäubendem Donner und dem Tosen des wasserfallartigen
Weitere Kostenlose Bücher