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Ellin

Ellin

Titel: Ellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Millman
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meisten Uthra war es Jeshs Familie lange Zeit gelungen, ihr wahres Gesicht zu verbergen, doch wie alle waren sie irgendwann leichtsinnig geworden und hatten sich verraten. In Gestalt und Gebaren unterschieden sie sich kaum von den Menschen, nur wer sie unbekleidet sah, konnte die Unterschiede erkennen. Über ihre Rippen zogen sich bis zum Rückgrat hinauf feine, hellbraune Linien, die in einem ebenfalls aus feinen Linien bestehenden, runenartigen Gebilde endete, welche sich genau zwischen den Schulterblättern befand. Auch an der Innenseite der Oberschenkel zogen sich mehrere Linien wellenförmig bis zum Gesäß hinauf. Jeder Uthra hatte von Geburt an diese Zeichnung. Seine Mutter erzählte ihm einst, dass ihre Seelen von Mabon, dem Herrscher des Lichts geschaffen und in einen menschlichen Körper gebannt worden waren, und dass die Linien auf ihrer Haut sie als seine Kinder kennzeichneten.
    Der Vorteil, eines von Mabons Kindern zu sein, war, dass sie länger lebten als die Menschen. Fast zweihundert Sternenläufe, sofern sie nicht vorher ermordet wurden. Kylian empfand seine Herkunft eher als Nachteil, zwang es sie doch dazu, sich alle zehn bis zwanzig Sternenläufe eine neue Heimat zu suchen, denn die Menschen hatten Angst vor ihnen. Sie erzählten sich, die Uthra würden ihre Seelen stehlen, um so ihr langes Leben zu ermöglichen.
    Bei dem Gedanken schnaubte er verächtlich. Alles Ammenmärchen, die sich die Menschen erzählten, um jemandem die Schuld für Krankheit und Tod geben zu können. Weder hatte er bisher irgendjemands Seele gestohlen, noch hatte er je eine gesehen.
    Gesenkten Hauptes huschte Jesh an ihm vorbei und kniete sich neben Nuelia. Er schwieg. Offensichtlich schämte er sich. Kylian bedachte ihn mit einem abfälligen Blick und stapfte dann in den Wald hinein.
    Die Luft war stickig und machte das Atmen mühevoll. Dunst, der von dem feuchten Boden aufstieg, erschwerte die Sicht. Es schien, als betrete er eine andere Welt. Er hielt inne und versuchte, sich zu orientieren. Überall um ihn herum raschelte und knirschte es. Regentropfen perlten über die Blätter und rieselten auf den Waldboden. So leise wie möglich zog er sein Schwert und hieb einen Dornenbusch zur Seite, hinter dem etwas scharrte und fiepste. Doch es war nur ein Waldhorn, das sich vor ihm verkrochen und nun, da er es seines Unterschlupfes beraubt hatte, panisch mit den verkümmerten Flügeln flatterte und floh.
Äste gab es genug, doch keiner war groß genug, um das Gewicht des Wagens zu heben. Er stapfte tiefer in den Wald hinein. Wurzeln, die aussahen wie die Beine eines Kraken, schlängelten sich über den Boden. Seltsame Laute wehten um die Bäume begleitet von einem widerlichen Geruch, süßlich und modrig, wie verwesendes Fleisch, verborgen unter faulenden Blättern. Jesh hatte Recht. Etwas Unheilvolles ging von dem Wald aus. Ein paar Doppelschritte entfernt sah er ein formloses Bündel auf dem Waldboden liegen, eine mit Blättern und Zweigen bedeckte Erhebung. Neugierig näherte er sich. Das Gebilde hatte menschliche Form. Nach einem weiteren Schritt erkannte er, dass es sich tatsächlich um einen Menschen handelte, eine Frau. Ihr Umhang war schmutzig, das Haar verfilzt und mit Blättern gespickt. Wirr lag es um ihren Kopf herum und verbarg das Gesicht. Kylian steckte sein Schwert weg und kniete sich neben sie. Sie rührte sich nicht. Vorsichtig schob er ihr Haar zur Seite und offenbarte eine bleiche Wange, über die sich eine verkrustete Schramme zog. Sie zählte höchstens achtzehn oder neunzehn Sternenläufe.
    »Bei allen Göttern.« Er hielt den Kopf über ihre Lippen und prüfte, ob sie noch atmete. Das tat sie, doch ihr Atem ging flach, begleitet von einem beunruhigenden Rasseln. Sein erster Impuls war, sie einfach liegenzulassen und davonzugehen. Schließlich war er nicht hier, um eine Menschenfrau zu retten, denn um eine solche handelte es sich zweifelsohne. Er erhob sich, tat ein paar Schritte und hielt dann inne. Verflucht. Das war nicht richtig. Leise vor sich hin schimpfend ging er zurück, hob sie empor und stapfte zum Waldrand.
    Die anderen unterbrachen ihre Arbeit und blickten auf.
    »Was hast du da?«, rief Butan.
    Geldis eilte ihm entgegen, warf einen kurzen Blick auf das Gesicht der jungen Frau und fühlte ihre Stirn. »Sie hat hohes Fieber.«
    Ohne etwas zu erwidern trug Kylian sie in den Wagen, legte sie auf den Boden und nahm ihr das Bündel ab. Geldis stieg ächzend hinauf, kniete sich hin und tastete nach

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