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Ellin

Ellin

Titel: Ellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Millman
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dem Hammerfels. Eine einsame Träne rinnt ihre Wange hinab, kullert über das Kinn und tropft auf den Boden. Sie wagt nicht mehr, zu widersprechen. Schweigend folgt sie der Mume auf den Berg hinauf.
    Vor einem riesigen, mit Eisenscharnieren beschlagenen Tor halten sie. Ellin erscheint es wie das Tor zu einem finsteren Kerker und die Felsenfestung, die sich dahinter verbirgt, wie ein Dämon, der sie zu verschlingen droht. Mit schreckensweiten Augen blickt sie auf das schartige Holz. Tilda beugt sich zu ihr hinab und umfasst ihre Schultern. Aus großen, blauen Augen blickt Ellin sie an. Sie bemerkt ein verräterisches Glitzern in Tildas Augen. »Warum weinst du?«
    »Ach Ellin«, sagt Tilda. »Bitte glaube mir, nichts täte ich lieber, als der Tochter meines geliebten Bruders eine Mutter zu sein, doch Lord Wolfhards Befehlen darf man sich nicht widersetzen. Ich weiß nicht, wie er von der Ermordung deiner Eltern erfahren hat und ich weiß nicht, warum er dich bei sich aufnehmen will, doch es ist sein Wille und Lord Wolfhard bekommt seinen Willen.«
    »Immer?«, fragt Ellin.
    »Immer!«
    Ellin nickt. Dicke Tränen tropfen von ihren Wimpern.
    »Versprich mir eines«, fährt Tilda fort.
    Wieder nickt Ellin stumm.
    »Gehorche deinem Herrn, sei fleißig und verrichte deine Arbeit so gut du kannst, doch vergiss nie, wo deine Heimat ist und dass du von Herzen geliebt worden bist.«
    Ellin schlingt die Arme um Tildas Hals. »Ich werde es nicht vergessen, ich verspreche es«, schluchzt sie.
    Tilda streichelt über ihr Haar. »Sei tapfer und hab keine Angst. Die Götter geben auf dich acht.«
    Sie nickt, klammert sich noch fester an den Hals ihrer Mume.
    Tilda löst sich aus ihrer Umklammerung, strafft sich und klopft an das Tor.
    Ein Wachmann öffnet. »Was wollt ihr?«
    Tilda deutet auf Ellin. »Das Mädchen hier wurde von Lord Wolfhard in seine Dienste berufen. Ich bin ihre Mume.«
    Der Wachmann mustert sie mit gleichgültigem Blick und winkt sie dann herein. Als sie den Hof betreten, schließt er das Tor und kehrt wortlos an seinen Posten zurück. Verunsichert stehen Tilda und Ellin da, bestaunen die dicken Mauern, die sie wie eine riesige Gruft umschließen, und die winzigen Fenster darin. Kein Farbtupfer ist zu sehen, nur das Grau und Braun von Eisen, Holz und Gestein. Nach einer Weile tritt ein hagerer Mann auf sie zu. Der wieselnde Gang und das spitze Gesicht mit den kleinen, schwarzen Augen erinnern Ellin an eine Flussratte. Sie hasst Flussratten, die alles fressen und deren Biss eiternde Wunden hinterlässt, die nur schlecht heilen.
    Er befiehlt Tilda zu warten und führt Ellin durch kalte Gänge bis zu einer schmalen Holztür. Er öffnet sie und schiebt sie wortlos in eine Kammer hinein, die nur dürftig von einer Fackel an der Wand erhellt wird. Darin warten Frauen unterschiedlichen Alters, drei kräftige, junge Männer und zwei Kinder, kaum älter als sie selbst. Alle sind ärmlich gekleidet und schmutzig, doch nach der langen Reise ist auch Ellin schmutzig und zerzaust.
    Sie müssen lange warten. Die Männer haben es sich mittlerweile auf dem Boden bequem gemacht, die Kinder stehen schweigend in einer Ecke und betrachten die Erwachsenen ängstlich, die Frauen tuscheln leise. Ellins Füße schmerzen vom langen Stehen, sie hat Hunger und Durst, doch wagt sie nicht zu fragen, wie lange sie noch warten muss. Sie wundert sich, warum ihnen niemand einen Becher Wasser anbietet. Im Haus ihrer Eltern bekamen die Gäste und das Gesinde immer etwas zu essen und zu trinken angeboten.
    Endlich tritt ein reich gekleideter Herr ein. Seine Beinkleider und das Wams sind aus einem feinen, glänzenden Stoff, der Ellin gänzlich unbekannt ist. Auch die kräftige blaue Farbe hat sie noch nie gesehen. Sein rostfarbener Umhang ist mit einem weißen Pelz verbrämt und die Schuhe sind aus weißem Leder. Inmitten der in ungefärbtes Tuch gekleideten Menschen wirkt er wie ein Paradiesvogel.
    Die Menschen in der Kammer verbeugen sich ehrerbietig und Ellin beeilt sich, es ihnen gleichzutun.
    »Das sind die Anwärter, ehrwürdiger Lord«, sagt der hagere Mann mit dem Rattengesicht.
    Lord Wolfhard brummt etwas Unverständliches und beäugt die gebeugten Menschen. Weder fordert er sie auf, sich zu erheben, noch richtet er das Wort an sie. Er geht herum und betrachtet sie wie Handelsgut, von dessen Qualität er sich noch überzeugen muss.
    Seine Schritte nähern sich. Ellin wagt nicht aufzublicken, hält ihre Augen starr auf den Boden gerichtet.

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