Ellin
braucht.«
»Diese dumme alte Frau«, stieß er hervor. »Warum muss sie sich immer einmischen? Ich brauche keinen Trost, geht einfach!« Er sackte nach vorn, alle Kraft schien ihn verlassen zu haben.
Unsicher blickte Ellin auf ihn hinab. Warum hatte Geldis sie gebeten, ihm zu folgen? Gerade sie? Wollte die alte Frau, dass er wieder die Beherrschung verlor? »Es tut mir leid«, flüsterte sie, wandte sich ab und ging davon.
»Wartet!«, rief er plötzlich.
Sie hielt inne. Kylian rappelte sich auf und trat auf sie zu. »Butan war mehr als nur ein Freund«, sagte er mühsam beherrscht, »er war mein Bruder und mein Weggefährte für eine sehr lange Zeit. Den Verlust kann sich niemand auch nur ansatzweise vorstellen, außer vielleicht meine Schwester. Doch es ist mein Schmerz, Ellin, meiner allein und ich werde ihn alleine ertragen. Ich will keinen Trost und ich bitte Euch, dies zu respektieren.«
Sie nickte. »Ich verstehe.«
Wieder wandte sie sich um, bereit zu gehen, als er unvermittelt ihre Hand ergriff und sie an sich zog. Ihre Körper berührten sich. Regungslos stand Ellin da und starrte ihn an, unsicher, ob sie um Hilfe schreien oder ihn umarmen sollte. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen. Kylians Brust hob und senkte sich im Rhythmus ihres aufgeregten Herzschlags, während er ihr Handgelenk umklammert hielt, zu fest, um als Geste der Zuneigung gewertet zu werden und zu verzweifelt, um sich darüber zu beklagen. Dann ließ er sie unvermittelt los und stapfte davon.
Verstört blickte sie ihm nach. Was geschah mit ihr? Sie sollte ihn verachten. Doch das tat sie nicht. Nicht mehr.
»Konntest du ihm Trost spenden?«, fragte Geldis, als sie ins Lager zurückkehrte.
Ellin zuckte mit den Schultern. »Nein. Wahrscheinlich bin ich nicht die Richtige.«
»Doch, das bist du«, erwiderte sie.
Verwirrt runzelte Ellin die Stirn. Warum nur hatte sie das Gefühl, dass die alte Frau mit diesen Worten nicht ihre Fähigkeiten als Trösterin gemeint hatte?
Stundenlang hielt Nuelia Butans schlaffen Leib umklammert und weigerte sich, ihn loszulassen. Sie forderte, ihn mitzunehmen, was Kylian jedoch rundheraus ablehnte. Erst als er mit strenger Stimme seltsame Worte in einer fremden Sprache sagte, ließ sie von ihrem Geliebten ab. Jesh hatte mit bloßen Händen ein flaches Grab ausgehoben, in das sie Butan nun betteten. Anschließend stellten sie sich in einem Kreis um den Toten herum und fassten einander an den Händen. Kylian sprach Worte in derselben Sprache, die er zuvor mit Nuelia gesprochen hatte. Schließlich lösten sie ihre Hände voneinander und knieten sich auf den Boden. Nacheinander nahmen sie eine Handvoll Erde und ließen sie auf seinen Leib rieseln.
»All asru lahinda, Butan lei«, sagte Kylian.
»All asru lahinda, Butan lei«, widerholten Nuelia, Jesh und Geldis.
Für einen Augenblick glaubte Ellin, ein Leuchten unter den Kleidern der Uthra wahrzunehmen, doch der Eindruck verschwand ebenso schnell, wie er gekommen war. Sie war unsicher, was sie sagen sollte. Sie beherrschte die Sprache der Uthra nicht, kannte nur die vecktanischen Totenworte. Als sie schließlich an der Reihe war, sprach sie spontan die Worte, die gefallenen Meisterkämpfern zuteilwurden.
»Die Götter heißen dich willkommen, Butan. Erklimme den Heldenturm und nimm Platz an der Tafel der unsterblichen Krieger.« Damit nahm sie eine Handvoll Erde und ließ sie auf Butans Leichnam rieseln. »Steige empor und finde Frieden.«
Normalerweise wurden in diesem Moment die Waffen des Verstorbenen von dessen Hauptmann oder, bei besonders hochrangigen und heldenhaften Männern, vom Lord persönlich in das Grab gelegt. Butans Waffen befanden sich bereits an seiner Seite und so ließ sie stattdessen, wie die anderen zuvor, eine weitere Handvoll Erde auf ihn rieseln.
Nuelia wirkte gefasst, doch ihre versteinerte Miene verriet die enorme Anstrengung, mit der sie ihre Gefühle zu beherrschen versuchte. Wie betäubt starrte sie in das Grab.
Jesh hatte die gesammelten Steine in vier Haufen aufgeschichtet. Gemeinsam nahmen sie Stein um Stein zur Hand und legten sie auf Butan, bedeckten seine tote Hülle, bis er vollständig unter einem Steinhügel verborgen lag. Da die Tradition der Uthra es gebot, einen Tag und eine Nacht lang am Grab eines Verstorbenen zu wachen, packten sie die Satteltaschen aus und rasteten. Ellin verspürte das Bedürfnis, über das Geschehene zu sprechen, doch die Uthra hüllten sich in tiefes Schweigen. Stumm und unbeteiligt
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