Ellin
al Suranis also göttliches Blut?«
Kylian lachte. »So erzählt man sich zumindest, doch wenn Ihr mich fragt, ich bezweifle diese Theorie und führe das unnatürlich lange Leben des Herrschergeschlechts eher auf Magie zurück als auf göttliche Vorfahren. Wenigstens sorgt ihr langes Leben dafür, das Nosara sich nicht, wie andere Menschen, vor uns fürchtet.«
»Kennt Ihr auch ihren Bruder Fortas?«, fragte Ellin.
»Nein, bis nach Kismahelia bin ich nie gekommen. Seit vielen Sternenläufen schon stehen wir ausschließlich im Dienst der Herrscherin. Einst waren die beiden Länder eins gewesen, müsst Ihr wissen, doch Nosara und Fortas sind eine Zwillingsgeburt und somit war der Herrschaftsanspruch des Erstgeborenen nicht eindeutig. Aus diesem Grund wurde das Land nach dem Tod der Eltern geteilt. Seit achtunddreißig Sternenläufen regieren die Geschwister nun schon ihr geteiltes Reich und sind dabei unerwartet friedlich.«
»Wieso ist das unerwartet? Haben Zwillinge naturgemäß nicht eine ganz besondere Bindung?«
»In der Geschichte der al Suranis hat es bereits zahllose kriegerische Auseinandersetzungen um den Herrscherthron gegeben. Bruder kämpfte gegen die Schwester, Tochter intrigierte gegen den Vater oder Enkel tötete die eigene Großmutter. Bei den al Suranis gibt es keine Intrige, die noch nicht gesponnen, keinen Verrat, der nicht schon begangen worden wäre. Zwillinge oder nicht, ich glaube, es ist nur eine Frage der Zeit, bis einer der beiden den Frieden bricht.«
Ellin war überrascht, wie offenherzig Kylian sprach und beschloss, so viele Informationen wie möglich aus ihm herauszuholen. »Wieso glaubt Ihr das?«
Er zögerte. »Erinnert Ihr Euch an die Wesen, auf der Insel in den Braunen Seen?«, fragte er schließlich.
Ellin beugte sich vor. Wie könnte sie Unan und Dau vergessen? »Natürlich.«
»Als Nosara uns den Auftrag gab, sie zu töten, sagte sie, dass sie es auf ihren Bruder abgesehen hätten, und wir sie unbedingt finden müssten, doch mittlerweile zweifle ich an ihren Worten. Ich glaube, sie führt etwas im Schilde.«
Ellin erschrak. »Glaubt Ihr wirklich? Ist es da nicht gefährlich, in ihren Dienst zurückzukehren, vor allem jetzt, wo der Auftrag gescheitert ist?«
Kylian warf ihr einen kurzen Blick zu. »Ich will Euch nicht beunruhigen. Huanaco ist ein friedliches und wohlhabendes Land und Nosara eine gerechte Herrscherin. Die Sorgen und Pläne der Regenten sollen nicht die Euren sein. Es wird Euch dort gefallen, glaubt mir.«
Der plötzliche Sinneswandel verwirrte Ellin und sie überlegte, ob sie weiter in ihn dringen sollte, entschied sich aber dagegen. Mittlerweile kannte sie ihn gut genug, um zu erkennen, wann er keine weiteren Geheimnisse mehr preisgeben würde. Es glich schon einem kleinen Wunder, dass er überhaupt seine Bedenken mit ihr geteilt hatte.
Auf halber Strecke zwischen der Steppe und den huanacischen Bergen wurden sie von einem breiten Erdriss zu einem Umweg gezwungen. Sie umrundeten den Spalt in einem weitläufigen Bogen und gelangten an den westlichen Rand, von wo aus sie wieder ein gutes Stück zurückreiten mussten. Die Nacht verbrachten sie am Fuße der Berge, neben einem Bach, der in wildem Galopp durch sein steiniges Bett rauschte. Das gurgelnde Wasser erinnerte Ellin an den Abstieg vom Hammerfels und ließ sie, trotz Feuer und Fell, frösteln.
Im Morgengrauen begann der anstrengende Aufstieg. Die Stadt lag verborgen zwischen mächtigen Gebirgskuppen, eingebettet in einen endlos anmutenden Tropenwald. Der eingeschlagene Weg schlängelte sich durch das moosbewachsene Geäst, umrundete Schlingpflanzen, riesige Blätter, mannshohe Farne und gigantische Bäume mit freiliegenden, kurios verdrehten Wurzeln. Nackte Vögel mit ledrigen Flügeln flogen über die Baumwipfel, gaben hohe, piepsende Laute von sich und versenkten ihre langen Schnäbel in leuchtende Blütenkelche. Kleine, pelzige Tiere sprangen behände zwischen den Bäumen umher, während sie so durchdringend kreischten, als wäre ein Dämon hinter ihnen her.
Ellin bestaunte die Vielfalt um sie herum. Nie zuvor hatte sie einen derart lebendigen Wald gesehen. An die pelzigen Tiere erinnerte sie sich. Die Gaukler auf den Ländereien ihrer Eltern hatten einmal ein solches Tier bei sich gehabt, sie nannten es einen Apina. Alle hatten es bestaunt, vor allem aber die Kinder, die gar nicht genug von den Kunststückchen bekommen konnten, die das Tier vollführte und sich dafür mit Nüssen und Früchten
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