Ellin
zufällige Weggefährtin.
Ein letztes Mal kniete Nuelia vor Butans Grab, legte ihre Hände auf die Steine und senkte den Kopf. »All asru Lahinda, Lobeia lei, gehe in Frieden, mein Geliebter. All Sida Lei tu an dei, in meinem Herzen bin ich bei dir.«
Erneut glaubte Ellin einen hellen Schein durch die Kleider zu sehen, der jedoch sofort wieder verschwand. Dann erhob Nuelia sich und stolzierte mit hoch erhobenem Haupt zu Butans Wallach. »Dieses Pferd ist fortan mein«, sagte sie und stieg auf. Um ihr Handgelenk trug sie ein Lederband mit dem Anhänger in Form eines Triskels, welches Butan zuvor getragen hatte.
Kylian wollte Geldis auf Jalos Rücken heben, doch die alte Frau bat ihn, mit Nuelia reiten zu dürfen. So war Ellin gezwungen, sich mit dem Platz hinter Kylian zu begnügen. Jesh trottete missmutig zwischen ihnen einher und versuchte, mit dem zügigen Tempo, welches Kylian angeschlagen hatte, Schritt zu halten.
»Morgen erreichen wir die Steppe von Norlania, zuvor müssen wir unbedingt unsere Wasservorräte auffüllen, da wir für mindestens ein bis zwei Tage keine Wasserstelle finden werden«, sagte Kylian.
Ellin seufzte. Sie hatte es gründlich satt, durch die Wildnis zu reiten und sich immer neuen Gefahren zu stellen. Butans Tod hatte ihr gezeigt, dass jeder von ihnen jederzeit sterben konnte, zumindest solange sie sich in menschenfeindlichen und unwegsamen Gegenden befanden.
»Wann erreichen wir endlich bewohnte Gebiete?«, fragte sie.
»Nachdem wir die norlanische Steppe durchquert haben, sind es noch zwei Tagesritte bis Huanaco«, erwiderte Kylian.
Ellins Gedanken schweiften in die Zukunft. In drei oder vier Nächten würden sie in Huanaco sein, einer richtigen Stadt. Endlich würde sie wieder in einem Bett schlafen, sich waschen und ihre Kleider ausbessern können. Und vielleicht würde sie sogar eine Anstellung als Dienst- oder Küchenmagd oder sogar als Heilgehilfin finden. Veckta wäre weit weg und die Wahrscheinlichkeit, dass Lord Wolfhard sie jemals finden würde, gering. Immerhin waren Veckta und Huanaco alles andere als Verbündete. Sie könnte frei und ohne Angst leben. Der Gedanke zauberte ein hoffnungsvolles Lächeln auf ihr Gesicht.
13
D ie Norlanische Steppe, die zugleich die Grenze zwischen Huanaco und Thal markierte, begann hinter einem kleinen Wald, dessen schlanke, hochgewachsene Bäume nur wenige, dafür aber umso größere Blätter trugen. Zuerst war das Gras noch grün, wurde jedoch von Stunde zu Stunde spärlicher und wechselte seine Farbe in schmutziges Gelb. Die gesamte Vegetation veränderte sich, wurde karg und trocken. Kümmerliche Sträucher bedeckten die staubige Erde. Nach der schwülen Hitze der Sümpfe und den windgeschützten Wäldern war es hier fast schon kalt. Eine raue Brise wehte über die Ebene und veranlasste Ellin dazu, sich in Kylians Windschatten zu kauern.
Nuelia tauschte in regelmäßigen Abständen ihren Platz auf Pineos Rücken mit Jesh, damit auch er sich ausruhen konnte. So kamen sie recht zügig voran und erreichten, kurz bevor der Nordstern versank, den Mittelpunkt der Steppe. Mangels schützender Felsen oder Bäume verbrachten sie die Nacht auf freier Flur, wo pfeifende Winde an den Schlaffellen zerrten und dürre Bälle aus getrocknetem Gras über sie hinwegwehten. Das Feuer vollführte einen wilden Tanz, brennende Äste zerbarsten, Funken stoben in die Nacht hinaus.
Am Morgen fiel es Ellin schwer, aus dem warmen Fell zu kriechen und sich dem Wind zu stellen, doch Kylian trieb sie zur Eile an. Er wollte die Stadt so schnell wie möglich erreichen.
In der Ferne nahmen die Berge von Huanaco Gestalt an. Sie waren rund und dicht begrünt, wie ein bewaldetes Ei. Kylian erzählte Ellin, dass die Stadt sich spinnennetzartig von der Mitte aus über das seltsam geformte Gebirge zog. Gleichzeitig bildete die Gebirgskette eine natürliche Grenze zu Kismahelia, einem wüstenreichen, an das große Wasser grenzenden Land, in dem der Bruder der Herrscherin, Fortas al Surani, regierte. »Die al Suranis sind eine für die Menschenrasse sehr langlebige Herrscherdynastie«, erzählte er. »Üblicherweise zählen sie weit über einhundert Sternenläufe, bevor sie sterben. Man erzählt sich, sie seien die Nachfahren der Göttin Anat, die sich einst mit einem Menschenkönig gepaart und die daraus entstandenen Kinder in dieser Welt zurückgelassen hat.«
Ellin, die Kylians Erzählung fasziniert lauschte, betrachtete die eiförmigen Hügel. »Dann fließt in den
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