Ellorans Traum
ich m-mir jetzt vornehmen?«
»Die Berichte des Botschafters der Allianz, denke ich. Du wirst sie recht amüsant finden.« Er deutete zerstreut mit einer Hand auf einen kleinen Stapel Papier zu seiner Linken. Ich griff danach und hockte mich wieder auf den Fußschemel.
» D - domu Karas, darf ich eine Frage stellen?«
»Hm?«
»Was ist die Allianz? W-Welche Länder gehören ihr an?«
Er hob den Kopf und sah mich an. Seine Augen wurden immer größer, während er rekapitulierte, was ich ihn gefragt hatte. Daß ich ihn etwas gefragt hatte. Daß ich gesprochen hatte. Ich erwiderte seinen Blick so unschuldig, wie es mir bei dem unbändigen Lachreiz möglich war, den ich verspürte.
»Elloran«, sagte Karas sehr vorsichtig und äußerst höflich, »Junge, ich glaube, ich bin immer noch betrunken, oder ich bekomme ein böses Fieber. Würdest du mir bitte den Gefallen tun und zu mir herkommen?« Ich stand wortlos auf und ging zu ihm. Er nahm meine Hand und sah mir prüfend ins Gesicht. »Elloran, sei bitte ganz aufrichtig, schone mich nicht. Hast du mich gerade etwas gefragt?« Ich sah ihn nur groß und erstaunt an. Er vergrub aufstöhnend den Kopf in den Händen.
»S-Soll ich einen H-Heiler rufen, domu ?« fragte ich scheinheilig. Dann konnte ich nicht mehr an mich halten. So hatte ich nicht mehr gelacht, seit Nikal bei einem Wettreiten mit mir kopfüber von seinem Pferd in den schlammigen Dorfweiher gefallen war.
Karas wechselte die Farbe, dann stemmte er sich hoch, umarmte mich heftig und küßte mich auf beide Wangen. »Mein Junge. Mein liebes, liebes Kind«, stammelte er und fing ebenfalls an zu lachen. Wir klammerten uns hilflos aneinander und keuchten und krächzten und wischten uns die Tränen ab und begannen dann wieder von vorne. Endlich ließ der Anfall nach, Karas sank kurzatmig in seinen Sitz zurück und wischte sich das Gesicht ab.
»Muß ich mich wahrhaftig bei Leonie bedanken?« fragte er keuchend. Ich hob die Schultern.
»Ohne s-sie wäre ich immer noch stumm wie ein F-ff«, ich holte Luft und setzte neu an: »Ein F-Fisch.« Ich kicherte. »Allerdings scheint ihr dabei ein w-winzig kleiner Fehler unterl-laufen zu sein.«
Karas runzelte die Stirn, dann lächelte er plötzlich. »Hauptsache, du kannst wieder sprechen. Das Stottern – dein Urgroßvater hat ganz fürchterlich gestottert, sein Leben lang. Und jeden einen Kopf kürzer gemacht, der gewagt hat, sich darüber lustig zu machen.« Er biß sich unbehaglich auf die Zunge.
Ich starrte ihn an. »Ihr habt m-meinen Urgroßvater gekannt? Aber ...«
Er winkte ab. »Ich war etwas älter, als du jetzt bist, als er starb. Unsere Familien leben seit Generationen hier in L'xhan, da bleibt es nicht aus, daß man sich kennt. Ich bin mit deiner Großmutter zusammen aufgewachsen, mußt du wissen. Sie war fast so etwas wie meine kleine Schwester.«
Das gab mir wieder Stoff zum Nachdenken. Vielleicht erklärte das sein eigentümliches Betragen mir gegenüber. Familiäre Gefühle oder so. »Habt Ihr K-Kinder, domu Karas?« fragte ich. Er antwortete nicht gleich, sah mich auch nicht an.
»Drei«, sagte er dann kurz. »Zwei Mädchen und einen Jungen. Meine Älteste ist vor sechzehn Jahren gestorben, meine jüngere Tochter lebt irgendwo in deiner Heimat, und der Junge ...«, er brach ab und sprach nicht weiter. Sein Gesicht hatte sich verfinstert. Er sah böse und enttäuscht aus. »Du hattest doch Fragen zur Allianz«, sagte er schroff. »Was wolltest du darüber wissen?« Enttäuscht bemerkte ich den Themenwechsel und griff gehorsam wieder zu den Akten.
»Ich wüßte g-gerne, was diese Allianz eigentlich ist. Ich habe noch nie zuvor v-von ihr gehört.« Der Kammerherr lehnte sich in seinen Stuhl zurück und faltete die Hände vor dem Bauch.
»Die Allianz«, sagte er nachdenklich. »Das darf ich dir eigentlich überhaupt nicht erklären, weil es einige sehr heikle Gebiete berührt, die in der Öffentlichkeit möglichst nicht bekannt werden sollten – jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht – und deshalb der striktesten Geheimhaltung unterliegen.« Er senkte das Kinn auf die Brust und hauchte auf den königlichen Siegelring. Ich erkannte diese Geste inzwischen als ein Zeichen äußerster Vorsicht und Sammlung.
»So viel kann ich dir sagen: die Allianz wäre ein überaus gefährlicher Feind und ein sehr mächtiger Verbündeter. Sie zeigt Interesse an einem Bündnis mit den Kronstaaten. Aber gleichzeitig steht sie auch in Verhandlungen mit den
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