Ellorans Traum
deutlich Wirkung, er hatte mir nicht zuviel versprochen. Mein Zustand besserte sich in den nächsten Tagen schnell, und ich bemerkte eigentlich jetzt erst, wie elend es mir seit Beginn des Winters gegangen war. Mein Körper kräftigte sich zusehends. Ich fühlte mich besser als seit etlichen Neunwochen. Einzig die leichte Benommenheit, die ich auf das Glückskraut zurückführte, wollte nicht weichen. Ich hatte meinen Verbrauch zwar inzwischen stark eingeschränkt, aber ganz davon lassen mochte ich auch nicht, lieber nahm ich in Kauf, etwas langsamer zu denken.
Meine Schwester suchte mich seit der Nacht in Julians Keller nicht mehr heim. Vielleicht hatte ich ihre Erscheinung auch nur dem Traumstaub zu verdanken gehabt. Trotzdem verfolgte mich manchmal noch ihre letzte Frage. Was konnte es für mich zu bedeuten haben, daß es sie nicht wirklich gab? Es war doch eigentlich nur ein Beweis für eine Heimsuchung, die anscheinend jetzt endlich beendet war. Auch meine anderen, ständig wiederkehrenden Alpträume waren fort. Ich schlief nun jede Nacht traumlos und tief und wachte jeden Morgen erholter auf.
An einem gewitterschwülen Tag in der Siebtwoche des Frühlings war Julian auffällig reizbarer Laune. Mittags hatte er eine Unterredung mit seinen Hauptleuten geführt, die sehr hitzig verlaufen war. Ich hielt mich im Garten auf und hörte erregte Stimmen aus Julians Arbeitszimmer dringen. Wenig später rief er mich zu sich. Ich setzte mich steif in den Lehnstuhl neben dem kalten Kamin und sah ihm zu, wie er im Arbeitszimmer auf- und ablief.
»Wie fühlst du dich?« fragte er ohne lange Einleitung. »Meinst du, wir können in zwei oder drei Tagen losreiten?« Ich schnappte nach Luft. Die Reise zur Kronenburg hatte die ganze Zeit wie eine düster dräuende Wolke über meinem Kopf gehangen, und ich hatte mir alle Mühe gegeben, nicht daran zu denken.
»Meinetwegen«, sagte ich mit belegter Stimme. Es klang wenig begeistert. Er blieb stehen und funkelte mich an. Dann nahm er seine Wanderung wieder auf.
»Vorher habe ich hier noch eine Sache zu erledigen«, führte er grimmig aus. »Das Blaue Viertel ist in Aufruhr. Meine Hauptleute schaffen es anscheinend nicht, die Sache alleine in den Griff zu bekommen.« Er hieb aufgebracht seine Faust in die Handfläche.
»Wenn man nicht alles selber macht ...«, fluchte er. Ich mußte lachen. Genau das hatte Karas auch immer gesagt, und in fast dem gleichen Ton.
Er kniff die Lippen zusammen und überlegte. »Du kommst mit«, murmelte er dann. »Das ist eine gute Gelegenheit, deine Tarnung zu überprüfen – es werden sicherlich genügend Leute dort sein, die dich kennen.« Ich sah ihn fragend an.
»W-wohin soll ich mitkommen?«
»Morgen abend ist eine Versammlung der rebellischen Elemente im Blauen Viertel. Ich habe eine ›Einladung‹ dazu bekommen.« Er lachte böse auf. »Ich werde mit Erman und Filip hingehen, und du kommst auch mit. Vorher müssen wir dich allerdings ein wenig herrichten.«
Er verriet mir nicht, was er damit meinte, das sollte ich erst am nächsten Tag erfahren. Julian rief mich in sein Arbeitszimmer, zog die Vorhänge zu und stellte einige Kerzen auf den Tisch. Dann nahm er meine Hände und sah mich durchdringend an.
»Du vertraust mir?« fragte er leise. Ich nickte nur stumm. Er lächelte kurz und legte mir eine Hand über die Augen. In meinen Ohren klingelte es, und leichter Schwindel ergriff mich. Meine Hände begannen zu kribbeln. Weiche Vogelschwingen strichen über mein Gesicht. Es kitzelte, und ich mußte mich beherrschen, um nicht zu lachen. Julian ließ seine Hand sinken und betrachtete mich kritisch.
»Nicht übel«, sagte er zufrieden. »Schau mal.« Er hielt mir einen kleinen Handspiegel vor, und ich starrte voller Erstaunen hinein. Ein grobes, bärtiges Gesicht mit einer Hakennase und engstehenden hellblauen Augen blickte mich entsetzt an. Ich griff mit den Händen an meinen Kopf und sah, wie mein Spiegelbild über den blonden Bart und die strähnigen, hellen Haare fuhr.
»Ach du m-meine Güte«, flüsterte ich erschreckt. Schmale Lippen formten dieselben Worte. Ich sah an mir herab und erblickte einen grobknochigen, derb gekleideten Körper, der einem nicht mehr ganz jungen Söldner oder Seemann zu gehören schien. Julian lachte über mein Entsetzen und bewegte seine Hände. Mit einem erleichterten Seufzer sah ich wieder mein gewohntes Spiegelbild vor mir erscheinen.
»Ich habe es dir nur gezeigt, damit du weißt, wie dich von nun an
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