Elsa ungeheuer (German Edition)
haben. Und so einen Busen will ich.«
»Ist der auch adlig?«
Ein verächtlicher Blick war ihre ganze Antwort auf meine ernstgemeinte Frage.
»So groß wird deiner nie«, sagte Lorenz.
»Nimm das sofort zurück«, zischte Elsa.
»Tu ich nicht.«
Bevor die Situation eskalieren konnte, rief uns das Hausmädchen zum Essen.
Mrs. Graham saß bereits in ihrem motorisierten Rollstuhl am Tisch.
»Irina.« Sebastian nahm die Hand der alten Dame, drückte und küsste sie. »Alle haben nach dir gefragt. Man vermisst dich. Und Frenzen ist noch immer böse mit dir, weil du die ART Basel geschwänzt hast.«
»Guten Abend, Mrs. Graham«, sagte Vera.
Irina nickte ihr kurz zu, ohne sie direkt anzusehen.
»Geschwänzt? Ich bin doch kein Schulmädchen. Außerdem bleibe ich der ART schon seit fünf Jahren fern. Das sollte selbst Frenzen mittlerweile begriffen haben. Überhaupt, Frenzen! Für meinen Geschmack verkündet er zu regelmäßig, den nächsten Picasso entdeckt zu haben. Und was bekommt man dann zu sehen? Schrott. Er muss aufpassen, dass er sich nicht vollkommen unglaubwürdig macht.«
»Laut dem Time Magazine gehört Frenzen immerhin zu den hundert bedeutendsten europäischen Galeristen.«
»Wer hat noch mal Hitlers Tagebücher abgedruckt?«
»Das war der Stern, Irina.«
Sie sahen sich an und lachten.
»Die Journaille. Man muss nur lange genug leben, dann denkt man automatisch in gröberen Kategorien.«
»Oder wird ungerecht.« Sebastian zwinkerte ihr zu. »Denn manchmal schreiben sie die Wahrheit.«
»Wahrheit? Mirberg, lassen wir die groben Kategorien und auch die großen Worte doch für heute ruhen, schließlich wollen wir unsere Gäste nicht langweilen. Wie war Düsseldorf?«
Irina Graham zeigte sich wesentlich gesprächiger als am Vorabend, offensichtlich genoss sie Mirbergs Gesellschaft. Seine Frau hingegen behandelte sie wie Luft.
»Die Richter-Ausstellung war solide.«
»Solide?« Vera Mirberg lachte bitter. »Gerhard Richter ist ein Genie. In zwanzig Jahren wird…« Weiter kam sie nicht, Sebastian schnitt ihr das Wort ab.
»Ja, ja, ein Genie, so nennen ihn viele. Allerdings bezweifle ich, dass das in zwanzig Jahren auch noch der Fall sein wird. Natürlich, Richter ist gut, aber ich glaube, er hat seinen Zenit bereits überschritten. Irina, hast du nicht das Gefühl, dass er heute schon alt wirkt?«
»Und, Mirberg, hast du denn auch etwas Junges gefunden?«, fragte sie amüsiert.
»Wir haben eine sehr talentierte Künstlerin kennengelernt. Eine Performance-Künstlerin. Ich weiß…«
Mrs. Graham wandte sich an die Runde. Bedachte jedoch nicht, dass weder Randolph Brauer noch wir Kinder den leisesten Schimmer hatten, was eine Performance oder wer Beuys war.
»1964 habe ich Beuys bei Block in Berlin gesehen. Der Chef, Fluxus Gesang hieß diese Performance. Beuys lag eingerollt in einer Filzrolle auf dem Boden. An den beiden Enden ein toter Hase, Fett in den Ecken des Raumes. Über eine Verstärkeranlage war sein Husten, Röcheln und Pfeifen zu hören. Ein zweites Tonband spielte eine Komposition von Henning Christiansen ab. Nach acht Stunden, um Punkt Mitternacht, stand Beuys auf und erklärte seinem Publikum, dass er stellvertretend für die Hasen Informationen hatte übermitteln wollen.
Anschließend trank ich mit Freunden des Galeristen ein Glas Wein. ›Ich kaufe‹, sagte ich. ›Packt Beuys, die Hasen und den ganzen anderen Krempel in die Filzdecke und schickt es in mein Depot.‹ Der Herausgeber eines Kunstmagazins, ein unbedeutendes Blättchen, das nach nur vier Ausgaben eingestellt wurde, hörte meinen Kommentar und widmete mir eine Doppelseite: ›Graham – Das kapitalistische Herz einer Sammlerin‹.Dort hieß es, ich sei zu profitorientiert, um den Zeitgeist zu verstehen. Ich sei unfähig, die Aufgabe der Kunst – durch Vergängliches die Vergänglichkeit zu symbolisieren – auch nur ansatzweise zu begreifen.
Ich habe der Redaktion einen Brief geschrieben: ›Das Leben selbst ist das stärkste Symbol der Vergänglichkeit. Möge sich also die Kunst, die Fiktion, in den Dienst der Ewigkeit stellen und festhalten, was sonst für immer verlorengehen würde.‹ Der Brief wurde nie abgedruckt.« Mrs. Graham lächelte ironisch.
»Also soll sich die Zeit der Kunst unterwerfen und nicht die Kunst der Zeit?« Sebastian lächelte nicht minder ironisch.
»Richtig, Mirberg, und der Moment wird Ewigkeit.«
»Und dann, Irina, stehen wir vor diesen ewigen Momenten und sehnen uns
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