Elsas Küche: Roman (German Edition)
nicht den Glanz und Schliff ihrer Straße unweit des Zentrums. Es war zwielichtig. Fehlende Dachschindeln, grelle Lichter über den Eingängen von Eckkneipen, rote Lampen, die vor undefinierbaren Häusern brannten. Überall bröckelte der Putz. Es war ein Viertel, das man nach Einbruch der Dunkelheit besser mied. Das Blumenmädchen schien ein Ziel vor Augen zu haben, und aus purer Neugier folgte Elsa, die sich nie Gedanken über sie gemacht hatte, ihr unauffällig. Als das Mädchen hinter einem hohen Zaun verschwand, lief Elsa schnell hinterher und spähte durch die Holzlatten. Hier also wohnte das Blumenmädchen! Sie erblickte einen verwahrlosten Garten – überall lagen Krempel, Baumaterial und Küchenabfälle herum. Ein paar Jungen kamen aus dem Haus in den Garten. Elsa sah, dass es dieselben waren, die immer zum Restaurant kamen, aber nicht, um irgendetwas zu verkaufen.Sie hier zu sehen und zu entdecken, dass sie alle irgendwie verwandt waren, überraschte sie. Sie hatte nie groß über diese Leute nachgedacht, was ihr merkwürdig vorkam, da sie sie ja fast täglich vor ihrem Restaurant sah. Mit einem Mal bekam sie Angst, dass man sie beim Spionieren erwischte. Was hätte sie ihnen dann sagen sollen? Lieber kehrte sie um und ging Richtung Zentrum. Für heute war sie ohnehin genug herumgelaufen. Sie wollte sich zu Hause ausruhen, bevor in ihrem Restaurant das Abendessen serviert wurde.
Elsa hatte eine Eigentumswohnung im vierten Stock eines neobarocken Hauses, mit Blick auf die Promenade im Zentrum. Wenn man sie dazu beglückwünschte, zuckte sie nur mit den Schultern.
»Das ist nicht Budapest«, sagte sie, »nur Délibáb.«
Als sie die Treppe hinaufkam, wartete der Küchenchef schon vor ihrer Wohnungstür. Ihr fiel wieder ein, dass sie ihn angefahren hatte, und vor lauter schlechtem Gewissen lächelte sie. Sie schloss auf und hielt ihm die Tür auf.
»Geht’s dir besser?«, fragte er voller Anteilnahme.
»Ein kleines bisschen«, sagte sie und folgte ihm in die Wohnung.
Als sie nach dem langen Spaziergang in ihre Wohnung kam, sah sie ihr Wohnzimmer und die frisch gestrichenen Türen, die auf einen kleinen Balkon über dem Boulevard führten, mit neuen Augen. Sie dachte an den unverbauten Blick auf die Kirche im Zentrum und sagte zu sich, vielleicht bin ich reich. Nur woher?
Es wurde Abend, und die untergehende Sonne tauchteden Boulevard in goldrotes Licht. Der Küchenchef machte ein Schläfchen, und Elsa saß auf ihrem Balkon und sah den vorbeifahrenden Straßenbahnen nach. Sie ließ den Blick über die Kirchtürme schweifen, auf denen es fast sechs Uhr war. Die Leute eilten nach Hause. Jeder ist heutzutage in Eile, dachte sie. In ihrer Kindheit war die Welt einfacher gewesen. Das Land war einfacher gewesen. Im Vergleich zu heute nicht halb so viel überflüssiges Tempo. Elsas Lebensüberdruss hatte sich vorübergehend gelegt, was, wie ihr auffiel, nun öfter vorkam. Offenbar taten Spaziergänge ihr gut. Sie saß da und dachte ein Weilchen an ihr Restaurant und ließ die Speisekarte Revue passieren.
Das Restaurant war ihr ein und alles, und daher beschloss sie, dass es Zeit für eine Veränderung war. Vielleicht brauchte sie eine Herausforderung. Sie dachte ein wenig nach. Die Speisekarte konnte eine Erweiterung oder völlige Erneuerung vertragen. Ihr Restaurant wurde langsam spießig, und das war womöglich der Grund für ihre Schwierigkeiten. Sie musste sich, wie sie fand, mehr um Anerkennung in der Welt der Gastronomie bemühen, sie musste fantasievoller werden. Das Zeug dazu hatte sie. Sie könnte neue Gerichte ersinnen und einen Stern bekommen! Einen Michelin-Stern! Oder wenigstens eine gute Kritik von einem ernst zu nehmenden Restaurantkritiker! Ein paar schwierige Aufgaben und ein festes Ziel – mehr brauchte sie vielleicht gar nicht, um aus ihrem Tief herauszukommen.
Es war Abendessenszeit, und Küchendüfte wehten ihr in die Nase. Ihr olfaktorisches Sensorium war wie berauscht von den Gerüchen, die aus den anderen Wohnungen und umliegenden Restaurants zu ihr drangen. Sie ging sie der Reihe nach durch: eine Spur zerdrückter Knoblauch, Pflanzenöl und der allgegenwärtige Paprika ...
Sie hätte sich den verschiedenen Aromen länger gewidmet, hätten die Kirchturmglocken nicht angefangen zu läuten und sie in ihrer Konzentration gestört. Sechs Uhr hieß, dass ihr Restaurant aufmachte. Im Schlafzimmer hinter ihr rührte sich der junge Küchenchef. Er kam herausgestolpert und kratzte sich
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