Elsas Küche: Roman (German Edition)
mir später«, entschied sie. »Nicht ausgerechnet jetzt. Ich glaub, ich kann jetzt nicht. Der Abend war schon Albtraum genug.«
Der Küchenchef schüttelte den Kopf. Nie ließ sie ihn ausreden! In den drei Jahren ihrer Beziehung hatte sie ihm immer das Wort abgeschnitten. Er warf ein Geschirrtuch aufdie Arbeitsfläche und sah Dora an. Elsa ging aus der Küche.
Die Kerze auf dem Tisch des Kritikers flackerte von seinem Atem. Er hatte die Gänseleber verspeist. Der Oberkellner hatte ihm ein Glas trockenen Rotwein gebracht, an dem er nippte. Zumindest war er still, dachte Elsa, und wartete geduldig auf den nächsten Gang. Elsa kam mit dem Oberkellner an seinen Tisch. Nach allem, was geschehen war, meinte sie, der informelle Teil des Abends habe nun begonnen, und setzte sich ihm gegenüber. Sie lächelte. Der Kellner servierte ihm das Essen.
»Ambitionierte Küchenchefin«, sagte er. Er schien jetzt guter Dinge zu sein. »Die Gänseleber war köstlich. So habe ich sie noch nie gegessen. Mit Maisgries. Eine ungewöhnliche Kombination und eine gute Idee. Es war wirklich ausgezeichnet.«
Er blickte auf seinen Teller und lächelte. »Wie hübsch das angerichtet ist.«
Er nahm die Hände von der Serviette, die auf seinem Schoß lag. Er nahm das Besteck, schnitt einen Kloß entzwei und tunkte ihn in die Soße. Er schob ihn in den Mund und kaute. Er nahm die Serviette und tupfte sich den Mund ab. Er faltete sie und legte sie wieder auf seinen Schoß. Elsas Herz schlug schneller. Es schmeckte ihm!
»Sehr gut«, sagte er. »Schmackhafte Soße.«
»Danke sehr«, sagte sie.
Er verdrückte die Klöße und schlürfte den Wein. Er deutete auf das Glas.
»Wirklich ausgezeichnet. Ist der von hier?«
Elsa nickte. »Ja, aus derselben Gegend wie unser Tokajer, nicht weit von hier.«
Der Kritiker lächelte, schnitt die Lende in Scheiben undschob sich ein Stück davon in den Mund. Er kaute ein paarmal kurz und machte ein langes Gesicht. Er legte den Kopf skeptisch zur Seite. Elsa verfolgte seine Bewegungen genau, bis sie einen der anderen Gäste nach Luft schnappen hörte.
»Sind das dieselben Kinder wie im Hotel?«, fragte er und zeigte mit der Gabel zum Fenster. »Was um alles in der Welt machen die da?«
Elsa drehte sich um und sah die drei Kinder am Fenster stehen. Sie waren wieder da und hatten ihre Hemden ausgezogen. Einen Augenblick lang rang Elsa nach Luft. Auch das noch, dachte sie.
»He, Dickwanst!«, sangen die Jungen und pressten sich an die Fensterscheibe. Die anderen Gäste kicherten.
»Du bist so dick«, riefen sie ihm zu. »Du bist so dick, und wir haben großen Hunger. Schau mal, wie mager wir sind!«
Sie hielten sich die Bäuche.
»Hunger«, sagten sie.
Der Kritiker runzelte die Augenbrauen. Elsa warf dem Oberkellner einen Blick zu, der nach draußen ging, um sie zu verscheuchen.
»Geld!«, riefen sie. »Gib uns Geld. Euros.«
»Ihr müsst hier weg«, sagte der Oberkellner streng. »Verschwindet sofort, sonst ruf ich die Polizei. Heute ist kein Tag für Faxen.«
»Aber wir haben Hunger«, sagten sie. »Und der ist so dick.«
»Ihr habt keinen Hunger«, sagte der Oberkellner. »Wollt ihr mich für dumm verkaufen? Verschwindet auf der Stelle.«
Der Kritiker legte Messer und Gabel beiseite und schob seinen Teller weg. Er betrachtete das Ganze von seinem Platz aus. Er blickte Elsa kopfschüttelnd an. Dann zog erein Notizbuch aus der Brusttasche und kritzelte etwas hinein.
»Was sagen die Kinder?«, fragte er.
Elsa schüttelte den Kopf. »Sie betteln bloß um Geld«, sagte sie. »Beachten Sie sie nicht.«
»Ich kann mich nicht konzentrieren«, sagte er. »Die Vorspeise war hervorragend, und die Soße ist köstlich, aber so kann ich nicht arbeiten.«
»Sie sind gleich weg«, hörte sich Elsa betteln. Sie konnte nicht glauben, was ihr da widerfuhr: Nach all den Anstrengungen würde vielleicht alles nur wegen dieser Jungen umsonst gewesen sein.
Der größte Junge presste sich an die Fensterscheibe. Er bestand nun nicht mehr auf seinem Hunger, sondern hatte eine Tüte Kirschen dabei, mit denen er sich den Mund vollstopfte ... Der Kirschsaft hatte Flecken auf seinen Handtellern und Fingerspitzen hinterlassen, er tropfte ihm aus dem Mund, rann ihm am Kinn entlang, dann auf sein Brustbein und breitete sich dort aus wie der Hof um einen Bienenstich.
Er spähte ins Restaurant, grinste anzüglich und lachte mit offenem Mund. Kirschstückchen und Steine fielen heraus, was ihn noch mehr zum Lachen brachte. Der
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