Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
bei ihm sicher gefühlt.
"Verstehst du das?" fragte Robin. "Kannst du das nachvollziehen? Er benimmt sich wie dein Vater - und in Wahrheit ist er dein Henker..."
Jesco konnte nichts darauf sagen, ihm fiel einfach nichts ein. Ja, er hatte in seinem Leben bereits viele Wunder erlebt, aber auch eine Menge Grausamkeiten. Doch die Geschichte, die sich hier vor ihm ausbreitete, war eine Geschichte von Hexerei, Unerbittlichkeit und einem Strom von Blut, die eher etwas mit düsteren, alten Legenden als mit dem wirklichen Leben zu tun zu haben schien.
"Und jetzt habe ich diesen Gefangenen - und ich weiß, wer er ist. Und was mein Herr, mein Herr... ihm angetan hat.... Wie soll ich ihn befreien? Er wird mich töten, sobald ich ihn befreie. Doch wer wird mich schützen vor der Hand meines Herrn? Es gibt nur einen, der ihm gewachsen ist, der mich schützen könnte. Ich bin auf- und abgelaufen in diesem Haus. Ich habe ihm das Mittel nicht mehr gegeben, seit gestern Abend nicht. Das Mittel, das ihn schlafen lässt. Aber kann ich mit ihm verhandeln? - Er wird mich belügen, um freizukommen, und mich dann umbringen. Egal, was ich tue, es ist eine Falle."
"Wer, sagst du, hat dir das Buch gegeben?" warf Jesco ein.
"Ach, verdammt", entfuhr es Robin, der sonst ganz und gar nicht zum Fluchen neigte. "Die halbe Geschichte ist nichts wert. Ich wusste das von vorneherein."
"Wer hat es dir gegeben?" hakte Jesco weiter nach.
"Ich weiß nicht", gab Robin zurück. "Ein Engel vielleicht, so dumm es auch klingt. Dass ich so etwas erzähle... Ein Engel hat mich ins Irrenhaus gebracht, verstehst du? Am liebsten will ich das alles vergessen."
Jesco verstand an dieser Stelle so gut wie gar nichts. Doch eines war sicher: Er selbst glaubte an die Existenz von Engeln, auch wenn er niemals einen zu Gesicht bekommen hatte.
Robin sprach mitten in Jescos Überlegungen hinein weiter. "Ich habe mich gefragt, wenn dieses Wesen, dieser Geist... dieser Engel, wenn er Bücher tragen kann, kann er dann nicht auch Fesseln lösen? Muss ich das tun? Aber es ist verschwunden, dieses Wesen. Zwei Tage war es bei mir und jetzt musste es fort. Es wurde gerufen. Weißt du, was es sagte? Es kann ihn nicht anrühren, es kann die Fesseln nicht anrühren. Er hat diese Zeichen auf dem Arm... Du hältst mich für irre, nicht wahr?"
"Robin", sagte Jesco ernst. "Ich habe vor ein paar Tagen gesehen, wie ein zertrümmertes Bein innerhalb von Sekunden geheilt wurde und ein Sterbender sich gesund aus dem Bett erhob. Ich kann dich gar nicht für irre halten."
Robin gab ein schweres Seufzen von sich. "Warum wimmelt es in meinem Leben nur so von Gespenstern? Was würde ich darum geben, einmal ein richtiges Wunder zu sehen!"
"Vielleicht", gab Jesco zu bedenken, "hast du den falschen Vertrag unterschrieben."
"Wie meinst du das?" fragte Robin zurück und drehte sich dabei halb zu ihm um, schaffte es aber nicht, ihn anzusehen.
"Weißt du, Robin, das Problem ist, dass wir Menschen von Anfang an auf der falschen Seite stehen, der Herr der Schrecken und Gespenster regiert unser Leben. Das können wir nur ändern, indem wir uns dem zuwenden, der uns gemacht hat. Er ist der Herr der Wunder."
"Der Herr der Wunder? Nicht eher der Herr der Verdammung und der Rache?" war Robins heftige Entgegnung, während er sich ruckartig wieder nach vorn wandte.
"Wenn Menschen versuchen, ihn als Druckmittel zu missbrauchen, dann zeichnen sie dieses Bild", sagte Jesco.
"Druckmittel", wiederholte Robin, sichtlich mit einer Spur eines alten Zorns. " Dazu ist er gut zu gebrauchen."
Jesco wusste im selben Augenblick, als er die aufwallende Wut seines Begleiters spürte, dass dies der falsche Moment war, dieses furchtbar verdrehte und doch so häufig in den Herzen und Köpfen der Menschen vertretene Zerrbild gerade zu rücken. So betete er nur still für Robin, dass er Gelegenheit bekäme, das wahre Gesicht seines Schöpfers zu erkennen ohne all das, was Menschen dazugetan oder weggenommen hatten. Er selbst kannte diese Falle aus eigener Erfahrung: Bilder Gottes wurden von Mensch zu Mensch hin- und hergereicht, bekamen dabei Knicke, wurden zerrissen oder gar schlichtweg kunstvoll oder grob übermalt. Und irgendeines dieser Bilder, das zuvor bereits durch tausend Hände gegangen war, steckte jeder Mensch sich irgendwann in die Tasche, um es den Rest seines Lebens zu behalten. Auch er hatte so ein Bild lange bei sich getragen, fest verwachsen mit seiner Seele: Desinteressiert hatte darauf gestanden.
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