Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
in Hafennähe mit einigermaßen ansehnlicher, warmer Kleidung eingedeckt und die Männerhosen in einem ebenfalls neu erstandenen kleinen Koffer verstaut. So konnte sie, ohne schiefe Blicke zu ernten, jederzeit aus ihrer Kabine herauskommen und die Luft der neu gewonnenen Freiheit atmen. Und diese Luft roch wirklich gut!
Gewiss durfte sie sich glücklich schätzen, überhaupt noch irgendeine Luft zu atmen. Dass sie dieses furchtbare, quälende Fieber lebend überstanden hatte, erschien ihr schon wie ein Wunder. Doch da gab es noch ein weiteres Ereignis, das sie rückblickend gesehen dankbar machte, weiterhin am Leben zu sein: Vor Fieber glühend hatte sie nach einer Abkühlung gesucht und das Wasser, das der Kapitän ihr in jenem Moment zum Trinken herein gereicht hatte, war ihr gerade recht gekommen. Sie hatte sich die Kanne über die Haare, den Kopf, den gesamten Körper geschüttet – und das kühle Nass hatte für wenige Augenblicke seine Wirkung getan. Doch dann waren Rötungen und ein unangenehmes Brennen auf der Haut aufgetreten, überall dort, wo sie mit dem Wasser in Kontakt gekommen war. Ihr erster Gedanke war gewesen: Gift. Vielleicht wäre sie gestorben, hätte sie das Wasser getrunken.
Die Hautreaktion und das hohe Fieber, beides war innerhalb von ein bis zwei Tagen wieder zurückgegangen. Es blieb die bohrende Frage, ob tatsächlich jemand versucht hatte, sie durch Gift zu töten. Falls ja, dann kam auch bei längerem Nachdenken nur ein einziger Täter in Betracht, denn der Kapitän des Schiffs konnte kein echtes Interesse daran haben, ihr Leben zu beenden. Und sonst wusste niemand von der Besatzung, dass sie hier war.
Der Gedanke, dass sie Robert einen Anschlag auf ihr Leben verdankte, löste völlige Ratlosigkeit in ihr aus: Er brachte sie also vor einem zerstörerischen Monster in Sicherheit, um sie dann feige hinterrücks zu ermorden? Der Verdacht, dass irgendwo in Roberts Geschichte, die Tadeya fest geglaubt hatte, noch Lügen lauerten, drängte sich auf und ließ einen großen Tropfen Bitterkeit in ihr Herz sickern. Sie konnte nur hoffen, dass sie sich täuschte und ihre Haut aus einem anderen, unersichtlichen Grund so empfindlich reagiert hatte.
Nun saß sie auf einer der schmalen, harten Bänke, die für die Passagiere an Deck angebracht waren, und blickte auf die endlose Folge grauer Wellen, die am Schiff vorüberzogen. Hier oben trat das Stampfen und Dröhnen der Maschinen im Rumpf in den Hintergrund gegen den rauschenden Wind und die schlagenden Wellen. Unten in Tadeyas Kabine jedoch schien der Lärm des Schiffsantriebs den ohnehin winzigen Raum für sich einzunehmen. Das Schiff war recht klein, hatte vielleicht fünfzehn Passagiere an Bord. Obwohl die englische Küste, an der sie entlang fuhren, nicht weit entfernt sein konnte, war seit Längerem kein Land mehr in Sicht. Im nächsten angesteuerten Hafen wartete ein großer Frachter, der zusätzlich zu seiner Ladung nur wenig gut zahlende Reisende an Bord nahm, um sie auf einen anderen Kontinent zu bringen.
Tadeya wollte am liebsten weder an die ungewisse Zukunft noch an die Vergangenheit denken. Doch es gab hier an Bord keine Ablenkung, die ihre Gedanken daran hinderte, sich selbstständig zu machen. Gespräche mit anderen Reisenden anzufangen, war bezüglich der dringenden Warnungen, die Robert ihr gegenüber ausgesprochen hatte, nicht sonderlich ratsam. Und so saß ihr Körper auf der Bank und starrte über die Reling, während ihr Inneres zwischen Jesco, Elisa, Robert und einer im Dunkeln liegenden Zukunft hin und her wanderte.
Zuerst bemerkte sie gar nicht, dass um sie herum etwas nicht stimmte, denn sie war gar nicht wirklich anwesend. Doch etwas schreckte sie hoch aus ihren Gedanken, ein kurzes Flimmern vor ihren Augen, das sogleich wieder verschwand. Sie schaute sich um. Auf einer anderen Bank, einige Meter neben ihr, saß ein in Ölzeug gehüllter Mann, genüsslich den Qualm seiner Zigarre in die Luft blasend. Sie hatte diesen Mann bereits mehrere Male an Bord gesehen, es handelte sich um einen Passagier, der gemeinsam mit seinem Sohn unterwegs war. Der Mann saß entspannt dort und schien nichts zu bemerken.
Ganz im Gegensatz zu Tadeya, die ihren Blick wieder auf das Meer wandte, während für eine kurze Sekunde alles stillzustehen schien. Die Wellen erstarrten, der Schiffsmotor stockte, sogar die Wolken am Himmel froren ein, während der starke Wind völlig verebbte. Im nächsten Augenblick war alles wie zuvor, nichts
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