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Elurius (Vater der Engel) (German Edition)

Elurius (Vater der Engel) (German Edition)

Titel: Elurius (Vater der Engel) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Gees
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obwohl sie räumlich nah waren.
    Vor denjenigen Engeln, die die Erde bewohnten, hegte man tiefen Respekt. Zahlreichen Menschen war zwar die Befähigung gegeben, die Schönheit dieser Kreaturen mit den Augen zu erblicken, doch eine echte Begegnung mit den himmlischen Wesen war selten. Kulte erhoben sich, in denen Engel aufgrund ihrer Machtfülle und Herrlichkeit gottgleich verehrt wurden. Auch ging die Rede um von Menschentöchtern, die sich mit Engeln verbanden und so zu Müttern mächtiger Riesen wurden, stark und schön wie die wundersamen Geistwesen, aus deren Samen sie hervorgingen. Man gab den Riesen den Namen „Nephilim“, denn ihre Entstehung stand im Widerspruch zur Schöpfungsordnung Gottes.
    Solche Dinge kannte der Knabe Sirus zunächst nur aus Erzählungen. In seinen ersten Lebensjahren war er beinah ein ganz normaler Junge, trieb sich mit den anderen Kindern herum und lernte bei den Erwachsenen alles, was man zu jener Zeit zum täglichen Leben brauchte. Er eignete sich die ihm vorgeführten Fertigkeiten sehr schnell an und schien schon im Alter von acht Jahren wie ein Erwachsener im Körper eines Kindes, selbständig und selbstbewusst. Dann kam der Tag, an dem der ganzen Sippe endgültig klar wurde, dass ihnen hier ein Kind geschenkt war, wie sie zuvor kein anderes gekannt hatten. Es war der Tag, an dem Sirus ein Bündnis mit einem Engel schloss.
    Der Junge hatte sich am Morgen für die Jagd bereit gemacht, Pfeil und Bogen geschultert und einige seiner älteren Freunde angesprochen, ob sie ihn begleiten wollten. Man jagte normalerweise im Verbund, denn der Erfolg war auf diese Weise besser gesichert und die Jäger konnten sich gegenseitig schützen. Vor allem Kinder ließ man grundsätzlich nicht allein aus dem Dorf gehen, denn die Wälder und Steppen steckten voller Gefahren. Doch Sirus ging an jenem Tag unter Missachtung der allgemeinen Regeln ohne Begleitung, denn seine Freunde waren mit anderen Dingen beschäftigt.
    Seine Füße trugen ihn weit hinein in ein ausgedehntes Waldstück, ohne dass er dabei nach Jagdwild Ausschau hielt. Er ließ sich treiben von einer starken Kraft in ihm selbst, die ihn an den Ort seiner Bestimmung wies. Das warme Morgenlicht brach durch das Laub der alten, hohen Bäume, während die Tiere des Tages um ihn herum erwachten. Vögel erhoben ihren Gesang, es raschelte und knisterte allerorts. Sirus kannte keinen Ort, lebendiger als dieser Wald, dessen uralte Bäume ihm wie mächtige Wesenheiten aus einer längst vergangenen Zeit erschienen, eigenhändig gepflanzt von einer ewigen Gottheit. An jenem Morgen richteten alle den Blick aus knorrigen, weisen Augen auf den Jungen, der zielgerichtet einem unbekannten Ort entgegenstrebte.
    Die Strahlen der Sonne wurden heller, weißer, dort, wo das Blätterdach sie ungefiltert durchließen. Der Mittag brach herein, doch Sirus hielt nicht inne. Er verspürte weder Hunger, noch Durst. Nur das stete Bestreben nach vorn war ihm geblieben, in dem wachsenden Bewusstsein, dass diese Jagd ein besonderes Siegeszeichen für ihn bereithielt. Die Nachmittagsstunden verstrichen, das Licht verfärbte sich in die bekannten warmen Töne der frühen Dämmerung. Sirus' Herzschlag wurde kräftiger, er erahnte die unmittelbare Nähe seines Bestimmungsorts.
    Die Augen des Jungen weiteten sich, als er in die weite Lichtung trat. Er erblickte zuerst einen Engel aus Stein, überwuchert vom üppigen Pflanzengrün, doch noch immer gut erkennbar nach all den vielen Jahren, die die baumhohe Skulptur hier gestanden haben musste. Sirus' Blick wurde wie magisch nach oben gezogen, zu dem makellos weißen, aus der Vegetation herausragenden Gesicht, das schmal und zart, doch sogleich voller Kraft wie das Antlitz eines mächtigen Herrschers wirkte. In jener Zeit trugen die Darstellungen von Engeln noch keine Flügel, es sei denn, es handelte sich um die gewaltigen Seraphinen und Cherubim, die außer in Visionen noch nie ein Mensch je erblickte, da sie fern allem Irdischen weilten. Allein die schmale, hohe Gestalt und die Mimik in ihrer überirdischen Anmut sprachen vom himmlischen Ursprung des dargestellten Wesens. Auch wurde ein Engel nie nackt oder auch nur halb nackt gezeigt, wie man es bei menschlichen Abbildern bevorzugte. Dieser weiße Steinengel trug ein eng anliegendes, bodenlanges Gewand, dessen einzige Verzierung der wilde Pflanzenbewuchs bildete . Verborgen von noch mehr grünem Wildwuchs befand sich ganz in der Nähe ein zweites Monument, gleicher Art und

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