Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
kleine Rest von eigener Kraft ihn nach und nach verließ.
Es verstrichen nur wenige Minuten, bis das Ziel des Rituals erreicht und der Bann aufgehoben war. Im selben Moment war das Gefühl für seinen Körper verloren, denn etwas Gewaltiges drang auf ihn ein und er wusste sofort, dass er die finsteren Tiefen seines Gegners nicht überschätzt hatte. Alles, was ihm nun noch blieb, um den Geist in seine Schranken zu weisen, war diejenige Waffe, die allen Menschen zueigen ist: Der feste Wille, das fremde Wesen nicht über sich herrschen zu lassen. Trotz seines mächtigen Auftretens ging der Geist jedoch behutsam vor. Robert fühlte seine Berührung in der Kopfmitte, heilende Wärme breitete sich aus. Auch wenn die enorme, unsichtbare Kraft sich in ihm und überall um ihn herum befand, verhielt sie sich ruhig, unternahm keinen Übergriff, den er nicht gewollt hätte.
Die direkte Nähe des Geistes offenbarte ihm noch mehr über dessen Beschaffenheit. Er erfuhr, dass das Licht in dem Wesen älter, ursprünglicher war, als die Dunkelheit. Aber die Finsternis war stärker, geradezu gefräßig, sie ließ die Grenzen zur Helligkeit verschwimmen, begierig, all die darin vorhandene Schönheit ins Gegenteil zu kehren. Jegliche Definition eines Dämons traf auf diese Kreatur zu, sie barg hinter dem hellen Strahl göttlicher Berührung die Abgründe einer ganz realen Hölle in sich, deren Tiefen nur zu erahnen waren. Doch sie war nicht ganz frei, diese mächtige Kreatur. Auf nicht genau bestimmbare Art war ein Teil ihrer Kraft gebunden.
Als das Wesen sich von ihm zurückzog, hatte es sein Versprechen eingelöst, die Heilung war vollzogen. Robert fühlte sich wieder vollständig und er war entschieden, dem Geist Ami-el niemals wieder diese Nähe zu gewähren.
Ami-el hatte sich indes mit dem Kern seines Wesens zurück in Robins Körper begeben. Robin selbst war wie ein hilfloses Bündel, blind und taub zusammengedrängt am äußersten Rand der fremdbesetzten Hülle. In dem kurzen Moment, als Robert seine Aufmerksamkeit auf Robin richtete, spürte er, wie zwischen ihnen eine Berührung zustande kam und er war sich gewiss, mit ihm in Kontakt treten zu können. Ohne darüber nachzudenken, vermittelte er Robin eine schnelle Botschaft: „Ich sehe dich und hole dich da raus“. Es war wie ein Reflex. In seinem früheren Leben hätte er dasselbe, gewagte Versprechen gegeben und es mit aller Kraft zu erfüllen versucht.
Aus Robins Antlitz blickte ihn indes Ami-el an, die Haare waren pure Feuersbrunst im grauen Raum, die Mimik von einem stillen Leuchten erfüllt. Ein tiefes Lächeln durchzog das gesamte Gesicht. Robert warf einen Blick hinauf zu Jesco, der auffällig blass ein wenig entfernt von ihnen stand und sie aus grau umwölkten Augen anstarrte.
Es war kalt im Raum, vielleicht kälter noch als vor der engen Begegnung mit Ami-el. Doch Robert fror nicht, obwohl er sich seines Hemdes entledigt hatte. Die Haut seiner Arme war an den frischen, oberflächlichen Schnittstellen sehr warm, der Schmerz nur gering.
Ami-els Stimme erklang, gefärbt von Robins Stimmbändern und trotzdem mit ganz eigenem Charakter. „Es ist sicher gut zu wissen, dass du dich im Ernstfall wieder angemessen verteidigen kannst.“
Robert richtete die Augen wieder auf Ami-el. „Ich bin dir nicht dankbar“, sagte er. „Das weiß ich“, erwiderte Ami-el leichthin. „Für Dankbarkeit habe ich es auch nicht getan.“
„ Dann sag mir jetzt klar und deutlich, was du von mir willst“, forderte Robert.
„ Die Heilung ist ein Geschenk“, sagte Ami-el. „Doch wenn du nun weiter zu deinem Ziel willst, dann höre vorher, was ich dir von König Sirus zu erzählen habe. Denn du solltest ihm nicht unvorbereitet gegenübertreten.“
„ Der König, von dem du redest, ist tot“, stellte Robert fest.
„ Sein Körper hat vor ungefähr 11000 irdischen Jahren seine Funktion aufgegeben“, bestätigte Ami-el und warf damit eine Zahl in den Raum, die Robert kaum für wahr hielt. Doch sein Wissen über die Konservierung von Mumien war beschränkt, sodass sein erster Zweifel vielleicht unberechtigt war. „Allerdings ist ein anderer Teil des Menschen für die Ewigkeit gemacht“, fuhr der Geist aus Robins Mund fort zu reden. „Und glaubt mir: Die Ewigkeit hat mit dem, was ihr 'Zeit' nennt, nichts gemein. König Sirus ist so jung wie am ersten Tag. Und so alt wie das Universum.“
„ Erzähl mir von ihm“, sagte Robert. „Es gibt keine Zeugen mehr aus seiner Zeit.
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