Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
Tropfen Blut dieser alten Rasse hatten in ihm überdauert, ohne dass er selbst davon Kenntnis besaß. Allein die Engel erkannten den Ihren, auch wenn dieser nur einen geringen Anteil der himmlischen Macht besaß. Sie hatte stets ein Auge auf ihn und trugen jegliche Kunde über die letzte alte Blutlinie in den Scheol zu König Sirus: Dieser Mann aus starken Wurzeln konnte dem König vielleicht zum Helfer werden, dem Totenreich zu entrinnen.
Sein altes Blutserbe war auch der Grund, warum er von Kindheit an über die physische Welt hinauszusehen vermochte und bei einem alten Meister der weißen Magie in die Lehre ging. Seine magischen Fertigkeiten jedoch blieben dem Volk verborgen, er wandte sie nie so an, dass es bemerkt wurde. Um Recht zu sprechen, war ihm eines sehr nützlich: Er konnte heimlich in die Seelen der Menschen blicken und erkunden, was für kein Auge bestimmt war. So gründete sein gesprochenes Recht stets in der unbedingten Wahrheit, die er durch greifbare Beweise untermauerte.
Der König seines Landes bestellte ihn alsbald zum obersten Richter und lies ihn Zwistigkeiten sogar in seinem eigenen Hof und Hause schlichten. Zu jener Zeit war der alte Lehrer weißer Magie bereits gestorben, doch nicht, ohne Richter Canomeen eine wichtige Weisheit mit auf den Lebensweg zu geben: „Der Weg der Gerechtigkeit führt zum Leben, die Ungerechtigkeit aber ist der Tod.“ Fürwahr, dieser Lehrer hatte über viele Jahre dem Elurius sein Ohr geöffnet, ohne dessen Namen zu kennen. Und der Elurius wusste, dass in dieser Welt wahre Gerechtigkeit keine festen Wurzeln schlagen konnte, darum behält hier der Tod stets die Oberhand.
Des Richters Aufmerksamkeit nahm indes eine besondere Person in Anspruch: Die Tochter des Königs, eine kluge und starke Frau, schlug ihn in ihren Bann. Je öfter er ihr begegnete, desto heftiger schlug sein Herz für sie. Jeniva besaß ihre ganz eigene königliche Schönheit, sie sprach nur wenig, doch ihr Wort hatte Gewicht - sogar für ihren Vater, den Herrscher des Landes. Auch sie hatte ein Auge auf den Richter geworfen, er war ein Mann nach ihrem Geschmack: massiv außen wie innen - und geboren, um zu herrschen. Sie kamen sich näher, sehr nahe. Jenivas großer Bruder Junan, der Thronfolger, billigte die Beziehung und ermunterte die beiden, vor den König zu treten und um seinen Segen zu bitten. Dies taten sie alsbald und erfuhren eine bittere Ablehnung: Der Herrscher wollte die Verbindung nicht, Emorians Herkunft schien ihm nicht standesgemäß.
Der Richter zog sich vollständig zurück von seiner Liebsten, er sah sich dem König zur Treue verpflichtet. Jeniva jedoch wollte nicht von ihm lassen und teilte ihm mit, dass sie nach einem Weg für eine gemeinsame Zukunft suche.
Vor Gericht kam ein schwerer Fall zur Verhandlung: Ein hoher Ritter des Königs hatte den Tod gefunden durch des eigenen Sohnes Hand. Das Delikt des Vatermordes wurde in jenem Land per Gesetz mit der Todesstrafe belegt - und der Sohn gab die Tat ohne Umschweife zu. Doch eines ließ den Richter bei der Festlegung des Urteils zögern: Der Täter hatte seine Mutter vor gewalttätigen Angriffen durch den Vater geschützt und war selbst bestürzt über den schrecklichen Verlauf der Dinge. So brachte Richter Canomeen den Fall vor den König und bat um die Aussetzung der Todesstrafe zugunsten eines milderen Urteils. Der König aber sagte: „Der Vater steht seiner Familie vor wie der König seinem Land. Mag der Vater ein guter oder ein schlechter Herrscher sein: Ihm gebühren Respekt und Ehre, weder Sohn noch Tochter dürfen Hand an ihn legen.“ Prinz Junan stand dabei an seiner Seite und bestätigte den königlichen Rechtsspruch.
Doch der Richter wusste um die Liebe des zum Mörder gewordenen Sohnes zu beiden Eltern und kannte seine verzweifelte Trauer, denn er sah in die Seele dieses Jungen. So versuchte er noch einmal das schwere Urteil zu wenden, indem er ausführte: „Sein Antrieb war nicht Gier, Hass oder Bosheit. Er handelte wild und ungezügelt, doch mit flammender Liebe. Sicher gehört er bestraft, doch den Tod hat er nicht verdient.“
Aber ein Richter muss sich dem bestehenden Gesetz beugen, der junge Mann, für den er eintrat, starb schon am nächsten Tag auf dem Schafott.
Dem König selbst war kein langes Leben beschieden. Wenige Wochen später, er schien noch gesund und voll Kraft, starb er im Schlaf in seinem königlichen Gemach. Unter Trauergesang trug man ihn zu Grabe und plante die Krönung
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