Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
überlegte, hinüber in den anderen Raum zu gehen und ihren Entführer aufzufordern, irgendetwas gegen die Kälte zu unternehmen, öffnete sich die Zwischentür von der anderen Seite.
"Was willst du?" fuhr sie Robert Adlam sogleich an, als dieser den Raum betrat. Gleichzeitig erhob sie sich vom Boden, die Decke weiterhin fest um ihre Schultern geschlungen.
Er ließ sich von dem unfreundlichen Empfang nicht irritierten und kam bis auf etwa zwei Meter an sie heran. Sie entdeckte, dass er ein Kleiderbündel in den Händen hielt, das er zwischen ihnen beiden auf den Boden legte.
"Es ist Schnee gefallen", teilte er ihr mit, nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte.
Sie wies auf die Kleidungsstücke am Boden. Es handelte sich um Männerkleidung, Hose, Hemd und Handschuhe. Wahrscheinlich seine eigenen Sachen.
"Ich glaube nicht, dass das da reichen wird", erklärte sie. "Hier ist es saukalt."
"Ich weiß", erwiderte er. "Ich bin einen großen Teil der Zeit über hier gewesen."
Sie stieß wütend die Luft durch die Nase. "Du bist für diesen ganzen Mist verantwortlich, nicht ich."
"Dir könnte es jetzt noch schlechter ergehen", entgegnete er.
"Ich sitze in diesem Loch fest und krepiere bald an einer Lungenentzündung", schimpfte sie. "Viel schlimmer geht es kaum noch."
"Da irrst du dich", meinte er mit derart ernstem Blick, dass Tadeya einen Stich in ihrem Inneren verspürte: Was um alles in der Welt sollte das bedeuten? Doch bevor sie nachhaken konnte, fügte er weitere sehr beunruhigende Worte hinzu:
"Deine Mutter könnte dir davon erzählen, wie es ist, Opfer desjenigen zu sein, der nun auf der Suche nach dir ist. Die Qualen, die er über sie brachte, haben ihr den Verstand geraubt. Nachdem sie ein zweites Mal seine unheilige Brut ausgetragen hatte, hat sie sich das Leben genommen."
Tadeya stand wie erstarrt. Diese gleichermaßen rätselhafte wie grausame Enthüllung war so plötzlich über sie hereingebrochen, dass sie sich wie erschlagen fühlte. Sie starrte ihr Gegenüber aus geweiteten Augen wortlos an.
"Wenn du hier unten stirbst, dann hast du nichts als Glück gehabt", fuhr er sogleich fort, ohne ihr auch nur einen Moment Zeit zu geben, den ersten Schlag zu verdauen. In seine Stimme mischte sich nun deutliche Bitterkeit. "Ich werde dich im Gegensatz zu ihm in Ruhe lassen. Und wenn ich kann, dann werde ich dich aus dieser Sache herausbringen, ohne dass du darüber irre wirst."
Sie schluckte und konnte kein Wort erwidern. Die Gedanken rasten in ihrem Kopf und sie war nicht in der Lage, sie zu ordnen: Er wusste etwas über ihre Mutter, von deren Lebensgeschichte sie nie ein einziges Wort vernommen hatte. Er hatte begonnen, ihr bruchstückhafte Informationen preiszugeben, nach denen sie so sehnsüchtig verlangte. Doch diese Informationen zeichneten ein erschreckendes Bild. Ein Bild von Tod und Wahnsinn.
"Nimm die Sachen", wies er sie an und seine behandschuhte Hand deutete auf den Boden vor sich. "Und versuche einfach, zu überleben. Ich tue, was ich kann. Und das ist sicher nicht wenig."
"Was ... was ist ...", brachte Tadeya heraus und ärgerte sich über dieses Gestammel. Sie war zu verwirrt, um die richtigen Worte zu finden. Das durchdringende Verlangen, die Wahrheit über sich selbst und ihre Familie zu erfahren, war wieder einmal schmerzhaft erwacht. "Sie hat sich ... das Leben genommen?" stieß sie schließlich fassungslos hervor. Ein altbekannter, aber niemals zuvor derart intensiv brennender Schmerz flammte in ihrem Herzen auf. Sie musste im nächsten Moment kräftig die Zähne aufeinanderbeißen. In ihren Augen brannten Tränen.
Das Zittern, das plötzlich ihren Körper durchlief, war diesmal nicht mehr auf die äußere Kälte zurückzuführen. Seine Worte hatten Bilder in ihr heraufbeschworen, die den finstersten Träumen aus frühen Kindheitstagen entstammten. Vor ihrem geistigen Auge sah sie das Gesicht einer jungen Frau, deren braune Augen ihren eigenen glichen. Doch die Mimik dieses irgendwie vertrauten und zugleich fremden Gesichts war erschreckend starr, so als sei die Seele dahinter zu Eis erstarrt. Ein schriller Schrei gellte durch ihr Inneres und ließ sie zusammenzucken: War es Elisas Schrei gewesen, irgendwo in der Ferne?
Plötzlich liefen Tränen über Tadeyas Gesicht und sie presste die Handfläche fest gegen ihren Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Langsam ließ sie sich zu Boden sinken, beugte sich nach vorn, das Gesicht nun in den Händen vergraben, kraftlos.
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