Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
neue Weg
Für eine lange Zeit habe ich meine Aufzeichnungen nun unterbrochen.
Ich möchte nicht viele Worte darüber verlieren, was in dieser äußerst entscheidenden Zeit genau geschehen ist. Das meiste davon ist nicht dazu bestimmt, jemals von fremden Augen gelesen zu werden. Doch eines kann ich ohne zu zögern sagen: Mein Projekt hat, wie erwartet, einen sehr vielversprechenden Anfang genommen.
Insgesamt haben die Aufgaben der letzten vierundzwanzig Monate all meine Konzentration und Anstrengung gefordert. Ich habe mich in dieser Zeit völlig zurückgezogen und habe Tag und Nacht nur für meine Vision existiert.
Nachdem Jolin in ihrer ersten Zeit bei mir die extreme Widerspenstigkeit ihres großen Bruders angenommen hatte, fügte sie sich nach und nach ihrem unausweichlichen Schicksal. Sie erfuhr von mir, dass sie einzig und allein zu dem sie nun erwartenden Zweck gezeugt wurde und ihr Leben nur diesem einen Sinn diente. Nachdem ich eine Weile mit ihr gearbeitet hatte, gab sie irgendwann ihr Widerstreben völlig auf und tat folgsam alles, was ich ihr sagte. Sie ist ein robustes Mädchen und vermag , wie erwartet, vieles auszuhalten. Und in ihrem gefügigen Schweigen gefiel sie mir sehr viel besser, als zuvor heulend und eigensinnig.
Mein Schüler Thomas, der einige Zeit nach Kenneths Ableben zu mir gestoßen ist, war mir ein guter Handlanger. Weitere Helfer habe ich über den zurückliegenden Zeitraum von zwei Jahren nicht um mich geschart, und auch Thomas weilt nun nicht mehr unter den Lebenden. So bleiben nur noch Jolin und ich, die zeugen könnten von den Vorgängen in den Tiefen des Waldes. Doch Jolin wird nichts von dem, was sie gesehen und erfahren hat, jemals erzählen. Ich werde sie noch eine Weile in meiner Obhut behalten und sie dann zurück in die Hände ihrer Mutter geben.
Zuerst hatte ich mehrere verschiedene Familien für die Aufnahme des Kindes in Betracht gezogen. Ich habe sie allesamt anhand bestimmter Kriterien sorgfältig ausgewählt. Sie sollten in einer bestimmten Region wohnen, einen gewissen Wohlstand aufweisen, über guten Zugang zu Bildungsmöglichkeiten verfügen und einen geringen oder keinen religiösen Hintergrund besitzen. Außerdem ist eine möglichst geringe Anbindung an das soziale Umfeld wünschenswert. Die Dame des Hauses musste im gebärfähigen Alter und fruchtbar sein, ebenso wie der Mann zeugungsfähig zu sein hatte.
Nur zwei der Frauen wurden zu einem relativ passenden Zeitpunkt schwanger, somit schieden die anderen aus. Während Jolin die Frucht meiner Arbeit austrug, habe ich die beiden in Frage kommenden Familien genauestens beobachtet und mich am Ende für eine von ihnen entschieden. In der ausgewählten Familie ist die Vermittlung von moralischen und traditionellen Werten besonders wenig ausgeprägt. Da sie ausländischer Herkunft sind und sich eindeutig als etwas besseres ansehen, als die sie umgebende einheimische Bevölkerung, haben sie wenig Halt im gesellschaftlichen Gefüge. Ein bei ihnen aufgewachsenes Kind wird insgesamt wenig Bindungen besitzen und keine festgefügte weltanschauliche Basis. Der dreijähige Sohn, der bereits vorhanden ist, wird nicht mit besonderer Zuwendung verwöhnt. Zumeist befindet er sich in der Obhut einer älteren Hausangestellten, die ihn mehr beaufsichtigt als bemuttert. Der Vater ist sehr sporadisch für Bestrafungen zuständig, ansonsten hält er sich aus der Erziehung vollständig heraus. Er und der im Haus lebende Großvater sind Geschäftsmänner mit wenig Herz und viel Kalkül. Die Mutter besitzt keine besondere Wärme, sondern ist interessiert an Disziplin und daran, ihre Ruhe zu haben.
Die Sprösslinge dieser Familie werden sich im späteren Leben eher an materiellen Werten orientieren, als an menschlichen. Sie werden kein besonders ausgeprägtes Gewissen besitzen und wenig Hemmungen, allgemein gesellschaftlich anerkannte Grundwerte zu verletzen. Als Halbwüchsige werden sie dazu tendieren, einer starken Vaterfigur zu folgen. Tendenziell werden sie eher misstrauisch als naiv gutgläubig sein, doch auch dieses Misstrauen ist keine hinderliche Eigenschaft. Jemand, der unter den genannten Umständen aufwächst wird in späteren Jahren nicht jeder ihm servierten, halbgaren frommen Lehre hinterher laufen. Ich habe die besten Argumente auf meiner Seite, um den Jungen zum passenden Zeitpunkt zu mir zu ziehen. Dann nämlich, wenn die Kindheit hinter ihm liegt und er Ausschau
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