Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
ist schief gegangen, Karl?" wollte Jesco wissen.
Karl wischte sich mit fahriger Hand über die feuchte Stirn, bevor er fortfuhr.
"Sie haben versucht, einen Flüchtigen zu stellen, so viel steht fest. Alles war gut geplant und sie hätten ihn fast gekriegt. Aber dann ging irgendetwas daneben. Keine Ahnung, was. Jedenfalls hat der Mann auf Fred geschossen. Mit einer Polizeiwaffe, wie auch immer das funktioniert hat." Wieder musste Karl tief atmen. "Die Kugel hat wohl die Hauptarterie im Bein zerrissen. Und den Knochen völlig zertrümmert. Fred hat eine Unmenge Blut verloren." Karl runzelte die Stirn, sein Blick ging für einige Sekunden ins Leere. "Mensch, das ist ein guter Junge, der Fred", murmelte er. "Es lag ihm immer am Herzen, dass alles Recht zugeht. Hat Theresa mit ungeheurem Respekt behandelt."
Es bestand keine Frage für Jesco, um wen es sich bei dem "Flüchtigen" handelte. Seine eigene Aussage hatte den Anstoß für den Polizeieinsatz gegeben, von dessen Misslingen Karl berichtete.
"Karl", sagte Jesco und legte seinem Vermieter die Hand auf den Arm. "Willst du dich setzen?"
Karl nickte etwas zerstreut und Jesco führte ihn zu dem einzigen intakten Sitzplatz, dem Bett. Sie ließen sich nebeneinander auf der Bettkante nieder.
"Die Frauen sitzen bei ihm und heulen", wiederholte Karl nach einer Weile. "Ich hab's dort nicht mehr ausgehalten. Dieser junge Bengel, nicht älter als du, zwei kleine Gören daheim, liegt da, als wäre er schon tot ... so blass ... Mann, wie kann so etwas bloß möglich sein?"
Jesco schwieg, ließ Karl Zeit, innerlich ein wenig zur Ruhe zu kommen. Karl schien auch in diesen Momenten auf keine Antwort zu warten, stützte schließlich den Kopf in die Hände und starrte vor sich hin. Erst nach einer geraumen Weile fiel ihm plötzlich wieder etwas ein.
"Das ist eine Katastrophe", sagte er wie zu sich selbst. "Wenn Fred überlebt, dann wird er ein Krüppel sein."
Karl hatte Recht, es war eine Katastrophe. Eine junge Familie mit zwei kleinen Kindern, die vielleicht des Vaters beraubt war. Ein junger Mann, der entweder in den nächsten Stunden starb oder für den Rest seines Lebens verkrüppelt war. Fromme Sprüche waren hier nicht angebracht, konnten nichts ausrichten.
Jesco wandte sich im Stillen an Gott, gab den jungen Mann und dessen Familie in seine Hand. Auch für ihn war es schwer begreiflich, warum dies alles geschah, noch dazu zu den vielen eigenen Problemen, die ihn bedrückten. Doch irgendwo musste das alles hinführen.
"Karl", begann Jesco nun, etwas zögernd. "Soll ich mit dir gehen, zurück in das Hospital?"
Karl wandte sich nun zu ihm um, sein Gesicht drückte neben all der Bestürzung überraschte Dankbarkeit aus.
"Würdest du das für mich tun? Dass ich nicht allein zwischen diesen beiden Frauen bin?"
Jesco nickte zur Antwort. Er spürte dabei einen leichten Widerstand in sich und hörte deutlich die Frage in seinem Inneren: Willst du dich wirklich mit noch mehr Unglück belasten? Doch auch dieses innerliche Zaudern reichte er sogleich an den Herrn weiter.
"Brauchst du noch eine Weile?" erkundigte er sich bei Karl. "Oder sollen wir gleich losgehen?"
"Zwei Minuten", sagte Karl und dann, etwas beschämt. "Könntest du wohl für mich beten? Und für Fred?"
Jesco entgegnete ihm mit einem leichten, aufmunternden Lächeln. "Still - oder laut?" fragte er zurück.
"Nein, nein, lieber still", meinte Karl. "Ich will nur wissen, dass du es tust."
"Ja", sagte Jesco.
Karl schloss auf der Stelle fest die Augen, so, als sei er überzeugt, dies gehöre auf jeden Fall dazu. Und Jesco tat, was zu seinem täglichen Leben gehörte. Er sprach im Geist mit seinem Schöpfer, der sich ihm als liebender Vater und mächtiger Herr offenbarte - und den er doch nicht immer in seinen Handlungen begreifen konnte. Er brachte Karl, Fred, Theresa und die beiden kleinen Kinder vor Gott und bat um Heilung und Kraft. Während er betete, spürte er ein neues Vertrauen in sich aufsteigen, dass nichts, aber auch gar nichts außerhalb der Kontrolle seines Gottes war. Und er bat darum, auch Karl diese Zuversicht zu verleihen und ihn zu einem Tröster und Helfer für Frau und Tochter zu machen.
Am Ende gab Karl ein schweres Seufzen von sich und meinte: "Ist das merkwürdig. Ich hatte gerade den starken Eindruck, dass Fred überleben wird."
"Wenn es von Gott ist,", sagte Jesco, "dann wird es so sein."
"Lass uns gehen." Karl stand von der Bettkante auf und strebte zur Tür. Jesco folgte ihm
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