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Elysion: Roman (German Edition)

Elysion: Roman (German Edition)

Titel: Elysion: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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linken Fuß langsam in die Tiefe, tiefer und tiefer, bis er wieder etwas Festes spürte. Es dauerte etwas weniger als zwei Minuten, bis er die Lücke schließlich hinter sich gebracht hatte. Er war schweißgebadet.
    »Du kannst jetzt nachkommen, Rasim!«, rief er nach oben.
    »Bestimmt nicht, du Volltrottel!«
    »Warum nicht?«, rief Jimmy erstaunt. »Was ist los?«
    »Das klang eben nach ziemlicher Akrobatik. So als ob du’s gerade so geschafft hast.«
    »Mein Bein war keinen Zentimeter zu lang, wenn du das meinst«, stimmte Jimmy zu.
    »Und wie sollen die Kleineren das schaffen? Gehirn schon wieder abgeschaltet, Herr Oberschlau? Wir klettern jetzt schon mindestens eine halbe Stunde. Es ist stockdunkel, bis auf diesen fernen Lichtpunkt dort oben, der genauso gut eine andere Galaxis sein könnte, und es ist ein verdammtes Wunder, dass noch keiner der Kleineren abgestürzt ist. Und wenn ich ehrlich bin, wird das Gör auf meinem Buckel langsam schwerer als Blei.«
    Den letzten Teil flüsterte er gerade so laut, dass er in dem Getrappel und Geflüster der nachrückenden Kinder von oben wohl nur für Jimmy hörbar war.
    Jimmy kam sich unendlich dumm und überhaupt nicht mehr anführermäßig vor. Er hatte nur an sich selbst gedacht.
    »Und jetzt?«, fragte er unsicher in die Dunkelheit.
    »Keine Ahnung, Mann. Zurück, schätze ich. Wenn das überhaupt zu schaffen ist.«
    Das war nicht zu schaffen, und Jimmy war sich sicher, dass auch Rasim das wusste. Der Gedanke, dass er sie alle dem Tod geweiht hatte, senkte sich wie ein Felsbrocken auf seine Seele. Auf einmal war sein Kopf voll von Bildern abstürzender Kinder, und eine Weile konnte er an nichts anderes denken. Doch dann keimte plötzlich ein hoffnungsvoller Gedanke in ihm auf.
    »Vielleicht ist irgendwo bereits ein Eingang, und wir haben ihn nur nicht bemerkt. Gib mal nach oben durch, dass alle links und rechts von sich tasten sollen.«
    »Oh, Alter. Du glaubst auch noch an den Weihnachtsmann!«
    »Tu es einfach, Rasim!«
    Seufzend führte Rasim den Befehl aus, und Jimmy hörte, wie das Kommando nach oben durchgegeben wurde wie ein Echo, das sich entfernte, leiser und von einem Ruf zum Wispern und dann zum Flüstern wurde. Schließlich war nichts mehr zu hören. Offenbar waren die Kinder mit Umhertasten beschäftigt. Die Sekunden dehnten sich in der Finsternis zu Ewigkeiten, und mit jedem weiteren Moment des Schweigens schwand seine Hoffnung.
    »Hier ist was!« Die Stimme eines Jungen, Steve oder Stephen oder so ähnlich, weit über ihm. »Da ist so ein Rand. Wie der Rahmen bei einer Tür oder so.«
    Jimmy spürte, wie der Felsbrocken auf seiner Seele zu bröckeln begann.
    »Hier ist Jimmy. Hörst du mich?«, brüllte er.
    »Ja«, erklang es von oben.
    »Kannst du da hineinklettern?«
    Stille.
    »Kleiner, was ist?«, rief Jimmy. »Kommst du da dran?«
    »Ich trau mich nicht.«
    Jimmy seufzte. Warum sollte es auch so einfach sein?
    »Passt auf da oben. Ihr klettert jetzt alle wieder ein Stück hoch!«
    Sofort erhob sich ein Orchester aus schrillen Entsetzensschreien und wütenden Schimpftiraden.
    »Ruhe!«, brüllte Jimmy. »Haltet die Klappe und hört mir einfach zu!« Er wartete ein wenig. Tatsächlich wurde es wieder stiller. »Passt auf. Wir klettern nur ein bisschen zurück. Nur so weit, dass ich in das Ding dort reinkomme. Wenn es ein Ausgang aus dem Schacht ist, ziehen Rasim und ich euch nach und nach rein, okay?«
    Keine Zustimmung, aber auch kein Widerspruch. Mehr war wohl nicht zu erwarten.
    »Also los!«, kommandierte er.
    Maulend setzten sich die Kinder über ihm in Bewegung. Erleichtert atmete er auf.
    Erst dann fiel ihm ein, dass er die Lücke nun ein weiteres Mal überklettern musste, nur in umgekehrter Richtung.

    Der Pontifex stierte auf die Anzeige, und was er sah, war nicht geeignet, seine ohnehin schlechte Laune aufzubessern. Nicht nur, dass er in seinem Vollrausch ein paar wertvolle Stunden verschlafen hatte. Nein, in dieser Zeit war die Temperatur des Reaktorkerns um weitere neunundvierzig Grad gestiegen.
    Das waren gleich zwei schlechte Nachrichten auf einmal. Erstens war seine Hoffnung, es könnte sich um ein vorübergehendes Phänomen handeln, damit zerschlagen. Zweitens stieg die Temperatur deutlich stärker an, als es bei seinen letzten Beobachtungen den Anschein hatte. Das wiederum hieß, dass sich die Kernschmelze nicht seiner ursprünglichen Annahme entsprechend in einer Woche ereignen würde, sondern bereits innerhalb der nächsten ein

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