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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Funke Leben
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biß­chen un­ter­ge­hen­des Le­ben, das da summ­te und zirp­te und pfiff und
kratz­te, als sei­en die Ba­ra­cken rie­si­ge Kis­ten mit ster­ben­den In­sek­ten.
    Um sie­ben Uhr be­gann die La­ger­ka­pel­le zu spie­len. Sie stand au­ßer­halb des
Klei­nen La­gers, aber so na­he, daß sie gut zu hö­ren war. Neu­bau­ers An­wei­sung war
prompt be­folgt wor­den. Das ers­te Stück war wie im­mer der Lieb­lings­wal­zer des
Kom­man­dan­ten: »Ro­sen aus dem Sü­den.«
    »Laßt uns Hoff­nung fres­sen, wenn wir nichts an­de­res ha­ben«, sag­te 509. »Laßt
uns all die Hoff­nung fres­sen, die es gibt. Laßt uns das Ge­schütz­feu­er fres­sen!
Wir müs­sen durch­kom­men. Wir wer­den durch­kom­men!«
    Die klei­ne Grup­pe hock­te na­he der Ba­ra­cke zu­sam­men. Es war ei­ne küh­le, duns­ti­ge
Nacht. Sie fro­ren nicht zu sehr. Die Ba­ra­cke hat­te be­reits acht­und­zwan­zig To­te
in den ers­ten Stun­den ge­habt; die Ve­te­ra­nen hat­ten ih­nen die Sa­chen aus­ge­zo­gen,
die sie ge­brau­chen konn­ten, und sie selbst an­ge­zo­gen, um nicht zu frie­ren und
krank zu wer­den. Sie woll­ten nicht in die Ba­ra­cke. In der Ba­ra­cke keuch­te,
stöhn­te und schmatz­te der Tod. Sie wa­ren drei Ta­ge oh­ne Brot ge­blie­ben und
heu­te auch noch oh­ne Sup­pe. Auf al­len Bet­ten kämpf­te es, er­gab sich und starb.
Sie woll­ten nicht hin­ein. Sie woll­ten nicht da­zwi­schen schla­fen. Das Ster­ben
war an­ste­ckend, und es schi­en ih­nen, als sei­en sie wehr­los da­ge­gen im Schlaf.
So sa­ßen sie drau­ßen, die Sa­chen der To­ten über sich ge­zo­gen, und starr­ten zum
Ho­ri­zont, von dem die Frei­heit kom­men muß­te.
    »Es ist nur die­se Nacht«, sag­te 509. »Nur die­se ei­ne Nacht! Glaubt es mir.
Neu­bau­er wird es er­fah­ren und die Ver­ord­nung mor­gen auf­he­ben. Sie sind be­reits
un­ei­nig. Es ist der An­fang vom En­de. Wir ha­ben so lan­ge aus­ge­hal­ten. Nur noch
die­se Nacht!«
    Nie­mand ant­wor­te­te. Sie sa­ßen dicht zu­sam­men­ge­drängt wie ei­ne Grup­pe von Tie­ren
im Win­ter. Es war nicht nur Wär­me, die sie sich ga­ben; es war ver­viel­fach­ter
Le­bens­mut. Er war wich­ti­ger als Wär­me.
    »Laßt uns über et­was re­den«, sag­te Ber­ger. »Aber et­was, was nichts mit die­sem
hier zu tun hat.« Er wand­te sich zu Sulz­ba­cher, der ne­ben ihm hock­te. »Was
willst du ma­chen, wenn du hier her­aus­kommst?«
    »Ich?« Sulz­ba­cher zö­ger­te. »Bes­ser, nicht dar­über zu re­den, be­vor es so­weit
ist. Es bringt Un­glück.«
    »Es bringt kein Un­glück mehr«, er­wi­der­te 509 hef­tig. »Wir ha­ben nicht dar­über
ge­re­det durch all die Jah­re, weil es uns zer­fres­sen hät­te. Jetzt aber müs­sen
wir dar­über re­den. In ei­ner sol­chen Nacht! Wann sonst? Laßt uns fres­sen, was
wir an Hoff­nung ha­ben. Was willst du ma­chen, wenn du her­aus­kommst, Sulz­ba­cher?«
    »Ich weiß nicht, wo mei­ne Frau ist. Sie war in Düs­sel­dorf. Düs­sel­dorf ist
zer­stört.«
    »Wenn sie in Düs­sel­dorf ist, ist sie si­cher. Düs­sel­dorf ist von den Eng­län­dern
be­setzt. Das Ra­dio hat es längst zu­ge­ge­ben.«
    »Oder sie ist tot«, sag­te Sulz­ba­cher.
    »Da­mit muß man rech­nen. Was wis­sen wir schon von de­nen, die drau­ßen sind?«
    »Und die drau­ßen von uns«, sag­te Bu­cher.
    509 blick­te ihn an. Er hat­te ihm im­mer noch nicht ge­sagt, daß sein Va­ter tot
sei und wie er ge­stor­ben war. Es hat­te Zeit, bis er frei war. Er wür­de es dann
bes­ser er­tra­gen.
    Er war jung und hat­te als ein­zi­ger je­man­den, der mit ihm hin­aus­ging. Er wür­de
es früh ge­nug er­fah­ren.
    »Wie wird das nur sein, wenn wir her­aus­kom­men?« sag­te Meyer­hof. »Ich bin seit
sechs Jah­ren im La­ger.«
    »Ich seit zwölf«, sag­te Ber­ger.
    »So lan­ge? Warst du po­li­tisch?«
    »Nein. Ich ha­be nur einen Na­zi, der spä­ter Grup­pen­füh­rer wur­de, von 1928 bis
1932 ärzt­lich be­han­delt. Viel­mehr nicht ich; er ist zu mir in die Sprech­stun­de
ge­kom­men und dort be­han­delt wor­den durch einen Freund von mir, der Fach­arzt
war. Der Na­zi kam zu mir, weil er im sel­ben Hans wohn­te wie ich. Es war für ihn
be­que­mer.«
    »Und des­halb hat er dich ein­sper­ren las­sen?«
    »Ja. Er hat­te

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