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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Funke Leben
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er­war­te­ten den Sturm und schlös­sen sich eng um Neu­bau­er.
Neu­bau­er be­gann zu schwit­zen. Er starr­te ge­ra­de vor sich hin und ging, als
woll­te er gleich­zei­tig schnel­ler und lang­sa­mer ge­hen.
    Aber es ge­sch­ah nichts. Die Ge­fan­ge­nen blie­ben ste­hen und sa­hen Neu­bau­er an.
    Sie stürz­ten nicht auf ihn zu; sie mach­ten ei­ne Gas­se für ihn.
    Kei­ner kam her­an. Kei­ner sag­te et­was. Kei­ner schrie ihn an.
    Nie­mand warf einen Stein nach ihm. Kein Knüp­pel fiel auf ihn. Sie sa­hen ihn nur an. Sie bil­de­ten ei­ne Gas­se und sa­hen ihn an, den gan­zen,
lan­gen Weg bis zum Klei­nen La­ger.
    Neu­bau­er hat­te an­fangs auf­ge­at­met; dann be­gann er stär­ker zu schwit­zen. Er
mur­mel­te et­was. Er sah nicht auf; aber er fühl­te die Au­gen auf sich. Er spür­te
sie auf sich wie un­zäh­li­ge Guck­lö­cher in ei­ner rie­si­gen Ge­fäng­nis­tür – als sei
er be­reits ein­ge­sperrt, und al­le Au­gen be­ob­ach­te­ten ihn kalt und auf­merk­sam.
    Ihm wur­de hei­ßer und hei­ßer. Er ging schnel­ler. Die Au­gen blie­ben auf ihm. Sie
wur­den stär­ker. Er spür­te sie auf sei­ner Haut. Sie wa­ren Blut­egel, die Blut
saug­ten. Er schüt­tel­te sich.
    Aber er konn­te sie nicht ab­schüt­teln. Sie ka­men durch sei­ne Haut. Sie hin­gen an
sei­nen Adern. »Ich ha­be ...« , mur­mel­te er. »Pflicht – ich ha­be nichts – ich war –
im­mer – was wol­len die bloß ...?«
    Er war naß, als sie an den Platz ka­men, wo Ba­ra­cke 22 ge­stan­den hat­te. Sechs
SS-Leu­te, die ein­ge­fan­gen wa­ren, ar­bei­te­ten dort mit ei­ni­gen Ka­pos.
Ame­ri­ka­ni­sche Sol­da­ten stan­den mit Tom­my­guns in der Nä­he. Neu­bau­er blieb mit
ei­nem Ruck ste­hen. Er sah ei­ne An­zahl schwar­zer Ske­let­te vor sich auf dem
Bo­den. »Was – ist denn das ...?«
    »Stel­len Sie sich nicht so dumm«, er­wi­der­te der Kor­po­ral grim­mig. »Das ist die
Ba­ra­cke, die ihr an­ge­zün­det habt. Da müs­sen noch min­des­tens drei­ßig To­te drin
lie­gen. Vor­wärts, Kno­chen her­aus­su­chen!«
    »Das – ha­be ich nicht be­foh­len ...«
    »Na­tür­lich nicht.«
    »Ich war nicht hier – da­von weiß ich nichts. Das ha­ben an­de­re ei­gen­mäch­tig
ge­tan ...«
    »Na­tür­lich. Im­mer an­de­re. Und die, die hier in all den Jah­ren ver­reckt sind?
Das wa­ren Sie auch nicht, was?«
    »Das war Be­fehl. Pflicht ...«
    Der Kor­po­ral wen­de­te sich an einen Mann, der ne­ben ihm stand. »Das wer­den in
den nächs­ten Jah­ren zwei häu­fi­ge Wor­te hier sein: Ich ha­be auf Be­fehl
ge­han­delt, und: Ich ha­be nichts da­von ge­wußt.«
    Neu­bau­er hör­te ihn nicht. »Ich ha­be im­mer ver­sucht, das Bes­te zu tun ...«
    »Das«, sag­te der Kor­po­ral bit­ter, »wird das drit­te sein! Los!« schrie er
plötz­lich. »Fas­sen Sie an! Ho­len Sie die To­ten her­aus! Glau­ben Sie, es ist
ein­fach, Sie nicht zu Brei zu schla­gen?«
    Neu­bau­er bück­te sich und be­gann un­si­cher in den Trüm­mern zu wüh­len.
    Man brach­te sie in Kar­ren, auf ro­hen Bah­ren, ge­stützt von Ka­me­ra­den,
sich ge­gen­sei­tig stüt­zend – man la­ger­te sie in den Kor­ri­do­ren der SS-Ka­ser­ne,
nahm ih­nen die ver­laus­ten Fet­zen ab, mit de­nen sie noch be­klei­det wa­ren, und
ver­brann­te die Lum­pen – dann brach­te man sie in die Ba­deräu­me der SS.
    Vie­le be­grif­fen nicht, was man mit ih­nen tun woll­te; sie sa­ßen und la­gen stumpf
in den Gän­gen. Erst als der Dampf aus den ge­öff­ne­ten Tü­ren drang, wur­den man­che
le­ben­dig. Sie be­gan­nen zu kräch­zen und angst­voll zu­rück­zu­krie­chen. »Ba­den!
Ba­den!« schrie­en ih­re Ge­fähr­ten. »Ihr sollt ge­ba­det wer­den.«
    Es nütz­te nichts. Die Ske­let­te ver­klam­mer­ten sich in­ein­an­der und wim­mer­ten und
scho­ben sich wie Krab­ben dem Aus­gang zu. Es wa­ren die, die Ba­den und Dampf nur
kann­ten als Wor­te für Gas­kam­mern. Man zeig­te ih­nen Sei­fe und Hand­tü­cher; es
half nichts. Sie hat­ten auch das schon ge­se­hen. Man hat­te es be­nützt, um
Ge­fan­ge­ne leich­ter in die Gas­kam­mern zu be­kom­men; mit ei­nem Stück Sei­fe und
ei­nem Hand­tuch in den Hän­den wa­ren sie ver­rö­chelt. Erst als man den ers­ten
Schub ge­rei­nig­ter

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