E.M. Remarque
Scharführer Steinbrenner ziemlich blamiert hatte.
Am Eingangstor des Lagers hatte wie immer die Musikkapelle gestanden und den
Fridericus Rex gespielt. Es war Parademarsch kommandiert worden, und mit Augen
rechts und empor geworfenen Beinen waren die Kommandos an dem SS-Lagerführer
Weber und seinem Stab vorbeimarschiert. Auch die Schwerverletzten auf den
Bahren hatten ihre Köpfe nach rechts gedreht und versucht, eine etwas strammere
Haltung im Sterben anzunehmen. Nur die Toten hatten nicht mehr gegrüßt.
Steinbrenner hatte nun gesehen, wie ein Mann, der von zwei anderen geschleppt
wurde, den Kopf hängen ließ. Er hatte nicht beachtet, daß auch die Füße des
Mannes schleppten, sondern war sofort in die Reihen gesprungen und hatte ihm
den Revolver zwischen die Augen geschlagen.
Steinbrenner war jung und eifrig und hatte ihn in der Eile nur für bewußtlos
gehalten.
Der Kopf des Toten war durch den Hieb zurückgeschleudert worden, und die
Kinnlade war heruntergefallen; es hatte ausgesehen, als schnappe der blutige
Mund mit einer letzten grotesken Bewegung des Schädels nach dem Revolver. Die
übrigen SS-Leute hatten sehr gelacht, und Steinbrenner war wütend gewesen; er
hatte gefühlt, daß ein Teil des Renommees, das er sich mit der Salzsäurekur bei
Joel Buchsbaum erworben hatte, verlorengegangen war. Er mußte es bei der
nächsten Gelegenheit wieder erwerben.
Der Marsch vom Kupferwerk herauf hatte lange gedauert, und es war später als
sonst gewesen, als der Appell begonnen hatte.
Die Toten und Verwundeten waren, wie immer, sorgfältig militärisch
ausgerichtet, in Reihe und Glied neben die Formationen der Blocks gelegt
worden, zu denen sie gehörten.
Auch die Schwerverletzten waren nicht zum Hospital gebracht und nicht vorher
verbunden worden; der Zählappell war wichtiger.
»Los! Noch einmal! Wenn's diesmal nicht klappt, wird nachgeholfen!«
Weber, der SS-Lagerführer, saß rittlings auf einem Holzstuhl, den man auf den
Appellplatz hinausgestellt hatte. Er war fünfunddreißig Jahre alt, mittegroß
und sehr kräftig. Sein Gesicht war breit und braun, und eine tiefe Narbe lief
vom rechten Mundwinkel über das Kinn herunter – sie war ein Andenken an eine
Saalschlacht mit Reichsbannerleuten im Jahre 1929. Weber hielt die Arme auf die
Lehne seines Stuhles gestützt und starrte gelangweilt auf die Sträflinge,
zwischen denen SS-Leute, Blockälteste und Kapos aufgeregt hin und her rannten,
prügelten und schrieen.
Die Blockältesten schwitzten und ließen aufs neue abzählen.
Monoton klangen die Stimmen auf: »Eins-zwei-drei ...« Die Verwirrung war durch
die ganz Zerfetzten im Kupferwerk entstanden. Die Häftlinge hatten Köpfe, Arme
und Körper so gut zusammengesucht wie sie konnten; aber man hatte nicht alles
gefunden. Wie man es auch machte: es schien, daß zwei Mann fehlten.
In der Dämmerung war es zwischen den Kommandos bereits zu einem Streit um die
einzelnen Glieder gekommen; besonders natürlich um die Köpfe. Jeder Block
wollte möglichst vollständig sein, um den schweren Strafen zu entgehen, die auf
ungenügende Meldung standen. Man hatte sich um die blutigen Stücke gerissen und
gepufft, bis das Kommando »Stillgestanden« ertönt war. Die Blockältesten hatten
in der Eile nichts organisieren können; so hatten zwei Körper gefehlt. Wahrscheinlich hatte die Bombe sie in kleine Stücke gerissen, die über Mauern
geflogen waren oder in Fetzen auf den Dächern herumlagen.
Der Rapportführer kam zu Weber. »Jetzt sind es nur noch anderthalb, die fehlen.
Die Russen haben drei Beine für einen gehabt, und die Polen hatten einen
überzähligen Arm.«
Weber gähnte. »Lassen Sie durch
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