E.M. Remarque
weiteres.«
Wiese hatte wenig Interesse daran; er hatte die Armee nur als Vorwand benutzt.
Neubauer wußte das ebenfalls. Wiese zerrte nervös an seinem Schnurrbart. »Ich
verstehe das alles nicht. Ich habe bisher immer ohne weiteres Leute bekommen.«
»Für Experimente? Von mir?«
»Hier vom Lager.«
»Da muß ein Irrtum vorliegen.« Neubauer griff zum Telefon. »Ich werde mich
einmal erkundigen.«
Er brauchte sich nicht zu erkundigen, er wußte auch so Bescheid. Nach ein paar
Fragen legte er den Hörer nieder.
»Ganz, wie ich vermutet habe, Herr Doktor. Sie haben früher Leute für leichte
Arbeit angefordert und bekommen. So etwas macht unser Arbeitsamt ohne
Formalitäten. Wir versorgen täglich Dutzende von Betrieben mit
Arbeitskommandos. Die Leute bleiben dabei dem Lager unterstellt. Ihr Fall heute
liegt anders. Sie verlangen dieses Mal Leute für klinische Experimente. Das
macht eine Überweisung notwendig. Die Leute verlassen damit offiziell das
Lager. Dafür brauche ich einen Befehl.«
Wiese schüttelte den Kopf. »Das ist doch eins wie das andere«, erklärte er
ärgerlich. »Früher sind die Leute ebenso für Experimente benutzt worden wie
jetzt.«
»Davon weiß ich nichts.« Neubauer lehnte sich zurück. »Ich weiß nur, was in den
Akten steht. Und ich glaube, es ist besser, wir lassen es dabei. Sie haben
zweifellos kein Interesse daran, die Aufmerksamkeit der Behörden auf einen
solchen Irrtum zu lenken.«
Wiese schwieg einen Moment. Er merkte, daß er sich selbst gefangen hatte.
»Hätte ich Leute bekommen, wenn ich sie für leichte Arbeit angefordert hätte?«
fragte er dann.
»Sicherlich. Dafür ist unser Arbeitsamt ja da.«
»Gut. Dann bitte ich um sechs Leute für leichte Arbeit.«
»Aber, Herr Stabsarzt!« Neubauer genoß die Situation mit vorwurfsvollem
Triumph. »Mir fehlen, offen gestanden, die Grundlagen für einen so plötzlichen
Wechsel ihrer Wünsche. Erst wollen Sie Leute haben, die körperlich möglichst
weit herunter sind, und dann verlangen Sie sie für leichte Arbeit. Das ist doch
ein Widerspruch! Wer bei uns körperlich weit genug herunter ist, kann nicht
einmal mehr Strümpfe stopfen, das können Sie mir glauben. Wir sind hier ein mit
preußischer Ordnung geführtes Erziehungs- und Arbeitslager ...«
Wiese schluckte, stand brüsk auf und griff nach seiner Mütze.
Neubauer erhob sich ebenfalls. Er war zufrieden damit, Wiese geärgert zu haben.
Es lag ihm nichts daran, sich den Mann völlig zum Feinde zu machen. Man konnte
nie wissen, ob der alte Gauleiter nicht eines Tages wieder in Gnaden
aufgenommen werden würde. »Ich habe einen anderen Vorschlag, Herr Doktor«,
sagte er deshalb.
Wiese drehte sich um. Er war blaß. Die Sommersprossen stachen scharf aus seinem
käsigen Gesicht. »Bitte?«
»Wenn Sie die Leute so dringend brauchen, könnten Sie nach Freiwilligen fragen.
Das erspart die Formalitäten. Wenn ein Häftling der Wissenschaft einen Dienst
leisten will, so haben wir nichts dagegen. Es ist nicht ganz offiziell, aber
das nehme ich auf meine Kappe, besonders bei den nutzlosen Fressern im Kleinen
Lager. Die Leute unterschreiben eine entsprechende Erklärung, fertig.«
Wiese antwortete nicht gleich. »In einem solchen Falle ist nicht einmal eine
Bezahlung für Arbeitsleistungen nötig«, sagte Neubauer herzlich. »Die Leute
bleiben offiziell im Lager. Sie sehen, ich tue, was ich kann.«
Wiese blieb mißtrauisch. »Ich weiß nicht, weshalb Sie plötzlich so schwierig
sind. Ich diene dem Vaterland ...«
»Das tun wir alle. Ich bin auch nicht schwierig. Nur ordentlich. Bürokram.
Scheint einem wissenschaftlichen Genie wie Ihnen unnötig zu sein; aber für uns
ist es nun mal die
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