E.M. Remarque
lächelte nicht. »Tölpel«, sagte er verächtlich in die Richtung von 509
und Bucher. »Dieses Mal wollten wir wirklich nichts anderes machen als
Fütterungsexperimente.«
Neubauer blies den Rauch seiner Zigarre von sich. »Um so besser. Doppelte
Strafe für Insubordination. Immerhin, wenn Sie noch versuchen wollen, im Lager
andere zu finden – es steht Ihnen frei, Herr Doktor.«
»Danke«, sagte Wiese kalt.
Neubauer schloß die Tür hinter ihm und kam zurück in den Raum. Die würzige,
blaue Rauchwolke des Tabaks umwehte ihn. 509 roch sie und fühlte plötzlich eine
reißende Gier in seinen Lungen. Sie hatte nichts mit ihm zu tun; es war eine
fremde, selbständige Gier, die sich in seine Lungen einkrallte.
Unbewußt atmete er tief und spürte den Rauch, und gleichzeitig beobachtete er
Neubauer. Er verstand einen Augenblick lang nicht, warum er und Bucher nicht
mit Wiese weggeschickt worden waren; aber dann wußte er es. Es gab nur eine
Erklärung. Sie hatten einem SS-Offizier nicht gehorcht und würden dafür im
Lager bestraft werden. Die Strafe war vorauszusehen – man hatte Leute
aufgehängt, nur weil sie einem Kapo nicht gehorcht hatten.
Es war falsch gewesen, nicht zu unterschreiben, fühlte er plötzlich. Mit Wiese
hätten sie vielleicht noch eine Chance gehabt. Jetzt waren sie verloren.
Eine würgende Reue quoll in ihm auf. Sie preßte seinen Magen, sie stand hinter
seinen Augen, und scharf und unerklärlich spürte er gleichzeitig die rasende
Gier nach dem Tabaksrauch.
Neubauer betrachtete die Nummer auf der Brust von 509. Es war eine niedrige
Nummer. »Wie lange bist du schon hier?« fragte er.
»Zehn Jahre, Herr Obersturmbannführer.« Zehn Jahre.
Neubauer hatte gar nicht gewußt, daß noch Häftlinge vom Anfang her da waren.
Eigentlich ein Zeichen für meine Milde, dachte er. Es gibt sicher nicht viele
Lager, die so etwas haben.
Er zog an seiner Zigarre. So etwas konnte sogar einmal ganz nützlich sein. Man
wußte nie, was kam.
Weber kam herein. Neubauer nahm seine Zigarre aus dem Mund und stieß auf. Er
hatte Schlackwurst und Rühreier zum Frühstück gehabt – eine seiner
Lieblingsspeisen.
»Obersturmführer Weber«, sagte er. »Dies hier war nicht befohlen.«
Weber blickte ihn an. Er wartete auf den Witz. Der Witz kam nicht. »Wir werden
sie heute Abend beim Appell hängen«, sagte er schließlich.
Neubauer rülpste noch einmal. »Es war nicht befohlen«, wiederholte er.
»Übrigens, weshalb machen Sie so etwas selbst?«
Weber antwortete nicht gleich. Er begriff nicht, daß Neubauer wegen solcher
Kleinigkeiten überhaupt ein Wort verschenkte.
»Dafür gibt es doch genug Leute«, sagte Neubauer. Weber war in der letzten Zeit
ziemlich selbständig geworden. Es schadete nichts, wenn auch er einmal merkte,
wer hier Befehle gab. »Was ist los mit Ihnen, Weber? Nerven durchgegangen?«
»Nein.«
Neubauer wandte sich wieder 509 und Bucher zu. Hängen, hatte Weber gesagt.
Eigentlich richtig. Aber wozu? Der Tag hatte sich besser gestaltet, als zu
vermuten war.
Und es war außerdem ganz gut, Weber zu zeigen, daß nicht alles so geschehen
mußte, wie er dachte. »Es war keine direkte Befehlsverweigerung«, erklärte er.
»Ich hatte freiwillige Meldungen angeordnet. Dies hier sieht nicht so aus.
Geben Sie den Leuten zwei Tage Bunker, weiter nichts. Weiter nichts, Weber,
verstehen Sie? Ich möchte, daß meine Befehle befolgt werden.«
»Jawohl.«
Neubauer ging. Er fühlte sich überlegen und zufrieden. Weber blickte ihm
verächtlich nach. Nerven, dachte er. Wer hat hier Nerven? Und wer wird hier
weich? Zwei Tage Bunker!
Ärgerlich drehte er sich um. Ein Streifen Sonne fiel über das zerschlagene
Gesicht von 509. Weber sah ihn
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