E.M. Remarque
genauer an. »Dich kenne ich doch? Woher?«
»Ich weiß es nicht, Herr Obersturmführer.« 509 wußte es genau. Er hoffte, daß
Weber sich nicht erinnern würde.
»Irgendwoher kenne ich dich. Woher hast du die Verletzungen?«
»Ich bin gefallen, Herr Obersturmführer.«
509 atmete auf. Dies war schon wieder die alte Routine. Ein Witz noch aus den
Anfangszeiten. Niemand durfte jemals zugeben, geschlagen worden zu sein.
Weber sah ihn noch einmal an. »Irgendwoher kenne ich die Fresse«, murmelte er.
Dann öffnete er die Tür. »Schafft die beiden hier in den Bunker. Zwei Tage.« Er
wendete sich wieder zu 509 und Bucher. »Glaubt nur nicht, daß ihr entwischt seid,
ihr Dreckfinken! Ich hänge euch noch!«
Man schleppte sie hinaus. 509 schloß die Augen vor Schmerzen. Dann spürte er
die Luft draußen. Er öffnete die Augen wieder. Da war der Himmel. Blau und
endlos. Er drehte den Kopf zu Bucher hinüber und sah ihn an. Sie waren
entkommen. Soweit wenigstens. Es war schwer zu glauben.
VII
S ie fielen aus den
Bunkern, als der Scharführer Breuer zwei Tage später die Türen öffnen ließ.
Beide waren die letzten dreißig Stunden von Halbbewußtlosigkeit in
Bewußtlosigkeit getaumelt. Am ersten Tage hatten sie sich noch ab und zu durch
Klopfen verständigen können; dann nicht mehr.
Man trug sie hinaus. Sie lagen auf dem Tanzplatz neben der Mauer, die das
Krematorium umgab. Hunderte von Menschen sahen sie; keiner rührte sie an. Keiner
brachte sie fort. Keiner tat, als sehe er sie. Es war kein Befehl gegeben
worden, was mit ihnen geschehen solle; deshalb existierten sie nicht. Wer sie
angerührt hätte, wäre selbst in den Bunker gekommen.
Zwei Stunden später wurden die letzten Toten des Tages zum Krematorium
gebracht.
»Was ist mit diesen?« fragte der SS-Mann, der Aufsicht hatte, träge. »Kommen
die mit 'rein?«
»Es sind zwei aus dem Bunker.«
»Sind sie abgekratzt?«
»Es sieht so aus.«
Der SS-Mann sah, daß die Hand von 509 sich langsam zur Faust schloß und wieder
öffnete. »Noch nicht ganz«, sagte er.
Sein Rücken schmerzte ihn. Die letzte Nacht mit Fritzi in der »Fledermaus« war
eine verfluchte Tour gewesen. Er schloß die Augen. Er hatte gewonnen gegen
Hoffmann. Hoffmann mit Wilma. Eine Flasche Hennessy.
Guter Kognak. Aber er war ausgepumpt. »Fragt im Bunker oder in der Schreibstube
nach, wohin sie gehören«, sagte er zu einem der Leichenträger.
Der Mann kam zurück. Mit ihm kam eilig der rothaarige Schreiber. »Diese beiden
sind aus dem Bunker entlassen«, meldete er. »Sie gehören ins Kleine Lager.
Sollten schon heute Mittag entlassen werden. Befehl der Kommandantur.«
»Dann schafft sie hier weg.« Der SS-Mann sah faul auf seine Liste. »Ich habe
achtunddreißig Abgänge.« Er zählte die Leichen, die in Reih und Glied vor dem
Eingang lagen.
»Achtunddreißig. Richtig. Weg mit denen hier, sonst gibt es wieder neues
Durcheinander.«
»Vier Mann! Bringt die beiden ins Kleine Lager!« rief der Leichenkapo.
Vier Leute griffen zu. »Hier herüber«, flüsterte der rothaarige Schreiber.
»Rasch! Von den Toten weg. Hier herüber!«
»Die sind doch schon so gut wie hin«, sagte einer der Träger.
»Halt die Schnauze! Los!«
Sie trugen 509 und Bucher von der Mauer weg. Der Schreiber beugte sich über sie
und horchte. »Sie sind nicht tot. Holt Bahren! Rasch!«
Er sah sich um. Er fürchtete, daß Weber kommen, sich erinnern und die beiden
hängen lassen würde. Er blieb stehen, bis die Leute mit den Bahren kamen. Es
waren roh gezimmerte Bretter, auf denen gewöhnlich Leichen transportiert
wurden.
»Packt sie auf! Schnell!«
Der Platz um das Tor und das Krematorium herum war immer gefährlich. SS-Leute
trieben sich dort herum, und der Scharführer Breuer war in der Nähe. Er ließ
ungern jemand lebend aus dem
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