E.M. Remarque
einmal an. Lewinsky nickte. Sein
Gesicht war nicht wie die Gesichter im Kleinen Lager. 509 fühlte, daß er
verstanden worden war.
Er ging weiter.
Bucher hatte auf ihn gewartet. Sie erreichten die Gruppe der vier anderen, die
weitergetrottet waren. »Fleisch«, murmelte Wassja. »Suppe und Fleisch.«
Die Schreibstube roch nach kaltem Mief und Lederwichse.
Der Kapo hatte die Papiere vorbereitet. Er sah die sechs ausdruckslos an. »Ihr
sollt das hier unterschreiben.« 509 blickte auf den Tisch. Er verstand nicht,
was da zu unterschreiben war.
Gefangene wurden gewöhnlich kommandiert, und damit fertig.
Dann spürte er, daß ihn jemand ansah. Es war einer der Schreiber, der hinter
dem Kapo saß. Er hatte feuerrotes Haar.
Als er sah, daß 509 ihn bemerkte, bewegte er fast unmerklich den Kopf von
rechts nach links.
Weber kam herein. Alles stand stramm. »Weitermachen!« kommandierte er und nahm
die Papiere vom Tisch. »Noch nicht fertig? Los, unterschreibt das!«
»Ich kann nicht schreiben«, sagte Wassja, der am nächsten stand.
»Dann mach drei Kreuze.«
Wassja machte drei Kreuze. »Der Nächste!«
Die drei Neuen traten einer nach dem anderen heran. 509 versuchte sich
krampfhaft zu sammeln. Es schien ihm, als müßte irgendwo noch ein Ausweg sein.
Er sah wieder zu dem Schreiber hinüber; aber der blickte nicht mehr auf. »Jetzt
du!« knurrte Weber.
»Los! Träumst wohl, was?« 509 nahm den Zettel auf. Seine Augen waren trübe. Die
paar Schreibmaschinenzeilen wollten nicht stillstehen. »Lesen auch noch!« Weber
gab ihm einen Stoß. »Unterschreib, Lausehund!« 509 hatte genug gelesen. Er
hatte die Worte »hiermit erkläre ich freiwillig ...« gelesen.
Er ließ das Blatt auf den Tisch fallen. Da war die verzweifelte, letzte
Gelegenheit!
Das hatte der Schreiber gemeint.
»Los, du Zitterbock! Soll ich dir die Hand führen?«
»Ich melde mich nicht freiwillig«, sagte 509.
Der Kapo starrte ihn an. Die Schreiber hoben die Köpfe und duckten sie sofort
wieder über ihre Papiere. Es wurde einen Moment sehr still.
»Was?« fragte Weber dann ungläubig.
509 holte Atem. »Ich melde mich nicht freiwillig.«
»Du weigerst dich, zu unterschreiben?«
»Ja.«
Weber leckte sich die Lippen. »So, du unterschreibst das nicht?« Er nahm die
linke Hand von 509, drehte sie und riß sie ihm über dem Rücken hoch. 509 fiel
nach vorn auf den Boden.
Weber hielt die verdrehte Hand weiter fest, zog 509 daran hoch, wippte und trat
ihm auf den Rücken. 509 schrie und wurde still.
Weber nahm ihn mit der anderen Hand am Kragen und stellte ihn wieder auf. 509
fiel um.
»Schwächling!« knurrte Weber. Dann öffnete er eine Tür. »Kleinert! Michel!
Nehmt den Jammerkerl mal nach drüben und macht ihn munter. Laßt ihn da. Ich
komme 'rüber.«
Sie schleppten 509 hinaus. »Jetzt du!« sagte Weber zu Bucher. »Unterschreib!«
Bucher zitterte. Er wollte nicht zittern, aber er hatte keine Gewalt über sich.
Er war plötzlich allein. 509 war nicht mehr da.
Alles in ihm gab nach. Er mußte rasch tun, was 509 getan hatte, sonst war es zu
spät, und er würde wie ein Automat ausführen, was man ihm befahl.
»Ich unterschreibe auch nicht«, stammelte er.
Weber grinste. »Sieh mal an! Noch einer! Das ist ja wie in den alten guten
Anfangstagen!« Bucher fühlte den Schlag kaum. Eine krachende Finsternis brach
über ihm zusammen.
Als er aufwachte, stand Weber über ihm. 509, dachte er stumpf, ist zwanzig
Jahre älter als ich. Mit dem hat er dasselbe gemacht. Ich muß durchhalten! Er
spürte das Reißen, das Feuer, die Messer in den Schultern, er hörte nicht, daß
er schrie – dann kam die Finsternis wieder.
Als er zum zweiten Male aufwachte, lag er neben 509 in einem anderen Raum auf
dem Zementboden. Durch ein Rauschen kam die Stimme Webers. »Ich könnte das ja
für euch unterschreiben lassen,
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