E.M. Remarque
und es gab im Augenblick nichts anderes. Sie trugen die
Bahren, als seien sie aus Glas, und wie auf Geisterfüßen lief ihnen die
Nachricht voran: zwei, die einen Befehl verweigert haben, kommen lebendig zurück.
Zwei aus dem Kleinen Lager.
Zwei aus den Baracken der sterbenden Muselmänner. Es war unerhört. Keiner
wußte, daß sie es nur einer Laune Neubauers zu verdanken hatten – und das war
auch nicht wichtig. Wichtig war nur, daß sie sich geweigert hatten und lebend
zurückkamen.
Lewinsky stand vor Baracke 13, lange bevor die Bahren sich näherten. »Ist es
wahr?« fragte er schon von weitem.
»Ja. Das sind sie doch, oder nicht?«
Lewinsky kam heran und bückte sich über die Bahren.
»Ich glaube, ja – ja, das ist der, mit dem ich gesprochen habe. Sind die vier
anderen tot?«
»Im Bunker waren nur diese zwei. Der Schreiber sagt, die anderen sind gegangen.
Diese nicht. Sie haben sich geweigert.«
Lewinsky richtete sich langsam auf. Er sah Goldstein neben sich. »Geweigert.
Hättest du das gedacht?«
»Nein. Nicht von Leuten aus dem Kleinen Lager.«
»Das meine ich nicht. Ich meine, daß man sie wieder losgelassen hat.«
Goldstein und Lewinsky blickten einander an. Münzer kam zu ihnen hinüber. »Es
scheint, daß die tausendjährigen Brüder weich werden«, sagte er.
»Was?« Lewinsky drehte sich um. Münzer hatte genau das ausgesprochen, was er
und Goldstein gedacht hatten. »Wie kommst du darauf?«
»Verfügung vom Alten selbst«, sagte Münzer. »Weber wollte sie hängen lassen.«
»Woher weißt du das?«
»Der rote Schreiber hat es erzählt. Er hat es gehört.«
Lewinsky stand einen Augenblick sehr still – dann wandte er sich an einen
kleinen grauen Mann. »Geh zu Werner«, flüsterte er. »Sag es ihm. Sag ihm, daß
der, der wollte, wir sollten es nicht vergessen, auch dabei ist.«
Der Mann nickte und drückte sich die Baracke entlang. Die Träger mit den Bahren
waren inzwischen weitergegangen.
Immer mehr Häftlinge kamen aus den Türen. Einzelne traten scheu und rasch heran
und blickten auf die beiden Körper. Ein Arm von 509 fiel herunter und schleifte
über den Boden; zwei Mann sprangen hinzu und legten ihn behutsam zurück.
Lewinsky und Goldstein blickten hinter den Bahren her.
»Allerhand Courage für zwei lebende Leichname, sich einfach so zu weigern, was?«
sagte Goldstein. »Hätte ich nie erwartet von einem aus der Krepierabteilung.«
»Ich auch nicht.« Lewinsky starrte immer noch die Straße hinunter. »Sie müssen
am Leben bleiben«, sagte er dann. »Sie dürfen nicht krepieren. Du weißt,
warum?«
»Ich kann es mir denken. Du meinst, daß es dann erst richtig wird.«
»Ja. Wenn sie krepieren, ist es morgen vergessen. Wenn nicht ...«
Wenn nicht, dann werden sie für das Lager ein Beispiel dafür sein, daß sich
etwas geändert hat, dachte Lewinsky. Er sprach es nicht aus. »Wir können das
brauchen«, sagte er statt dessen. »Gerade jetzt.«
Goldstein nickte.
Die Träger gingen weiter dem Kleinen Lager zu. Am Himmel stand ein wildes
Abendrot. Die rechte Reihe der Baracken des Arbeitslagers wurde davon
beschienen; die linke lag in blauen Schatten. Die Gesichter vor den Fenstern
und Türen der Schattenseite waren bleich und verwischt wie immer; aber die auf
der anderen Seite wurden von dem starken Licht überweht wie von einem jähen
Sturz geborgten Lebens. Die Träger gingen mitten durch das Licht. Es fiel auf
die von Blut und Schmutz verschmierten Körper auf den Bahren – und plötzlich
war es, als würden dort nicht einfach zwei zerschlagene Gefangene
zurückgeschleppt, sondern als wäre es fast wie ein jammervoller Triumphzug. Sie
hatten widerstanden. Sie atmeten noch. Sie waren nicht besiegt.
Berger arbeitete an ihnen. Lebenthal hatte Steckrübensuppe besorgt. Sie
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