E.M. Remarque
den Tod Manuelas warteten, und
winkte ihr zu.
»Ich habe Giuseppe
heute gefahren«, sagte er.
»Haben Sie es
gesehen?«
»Ja. Hat jemand
sonst Sie noch gesehen?«
»Wer?«
»Das Krokodil? Oder
der Dalai Lama?«
»Niemand. Der Wagen
war an der Übungswiese geparkt. Da kann man ihn nicht sehen. Und wenn schon!
Ich bin glücklich. Ich glaubte schon, ich könne die verdammte Karre nicht mehr
fahren.«
»Jeder scheint
heute abend glücklich zu sein«, erwiderte Lillian bitter. »Sehen Sie sich das
da an!«
Sie zeigte auf den
Tisch, an dem Eva Moser mit erhitztem, dicklichem Gesicht saß, umringt von
ihren teilnehmenden und neidischen Freunden. Sie saß da wie jemand, der das
Große Los gezogen hat und plötzlich nicht weiß, wie er zu all der
überraschenden Teilnahme kommt.
»Und Sie?« fragte
Lillian Hollmann. »Haben Sie Ihre Temperatur gemessen?«
Hollmann lachte.
»Das hat Zeit bis morgen. Heute will ich nicht daran denken.«
»Glauben Sie nicht,
daß Sie Fieber haben?«
»Es ist mir egal.
Und ich glaube es nicht.«
Wozu frage ich ihn
das, dachte Lillian. Bin ich auf ihn neidisch, so wie alle auf Eva Moser?
»Kommt Clerfayt heute abend nicht?« fragte sie.
»Nein. Er hat heute
nachmittag überraschend Besuch bekommen. Wozu soll er auch immer heraufkommen?
Es muß langweilig sein für ihn.«
»Warum fährt er
dann nicht weg?« fragte Lillian ärgerlich.
»Er fährt; aber
erst in ein paar Tagen. Mittwoch oder Donnerstag.«
»Diese Woche?«
»Ja. Ich nehme an,
er wird mit seinem Besuch hinunterfahren.«
Lillian antwortete
nicht; sie wußte nicht genau, ob Hollmann ihr das absichtlich erzählte, und da
sie es nicht wußte, nahm sie an, es sei Absicht und fragte deshalb nicht
weiter. »Haben Sie etwas zu trinken bei sich?« fragte sie.
»Nicht einen
Tropfen. Ich habe den Rest meines Gins heute nachmittag Charles Ney geschenkt.«
»Haben Sie nicht
eine Flasche Wodka geholt, heute Mittag?«
»Die habe ich
Dolores Palmer gegeben.«
»Warum? Wollen Sie
plötzlich Modellpatient werden?«
»Ungefähr das«,
erwiderte Hollmann etwas verlegen.
»Heute Mittag waren
Sie alles andere.«
»Gerade deswegen«,
sagte Hollmann. »Ich will wieder fahren.«
Lillian schob ihren
Teller zurück. »Und mit wem reiße ich denn von nun an abends aus?«
»Da sind doch
genug. Und Clerfayt ist ja auch noch hier.«
»Ja. Und nachher?«
»Kommt Boris heute
abend nicht?«
»Nein, er kommt
nicht. Und mit Boris kann man nicht ausreißen. Ich habe ihm gesagt, ich hätte
Kopfschmerzen.«
»Haben Sie welche?«
»Ja.« Lillian stand
auf. »Ich werde sogar das Krokodil heute abend glücklich machen, damit alle
glücklich sind. Ich werde schlafen gehen. In Morpheus' Armen. Gute Nacht,
Hollmann.«
»Ist irgend etwas
los, Lillian?«
»Nichts als das
Übliche. Langeweile. Ein Zeichen von gutem Befinden, würde der Dalai Lama sagen.
Wenn es einem wirklich schlecht geht, soll es angeblich keine Panik mehr geben.
Man soll zu schwach dazu sein. Wie gütig Gott ist, was?«
Die Nachtschwester
hatte ihre Abendrunde beendet. Lillian saß auf ihrem Bett und versuchte zu
lesen. Nach einer Weile schob sie das Buch beiseite. Wieder lag die Nacht vor
ihr, das Warten auf den Schlaf, der Schlaf und dann das jähe Aufschrecken aus
dem Schlaf und der gewichtslose Moment, wo man nichts wieder erkannte, nicht
das Zimmer und nicht sich selbst, wo man im sausenden Dunkel hing und nichts
als Angst war, neblige Todesangst, endlose Sekunden lang – bis das Fenster
langsam wieder vertraut wurde und kein Schattenkreuz im unbekannten Chaos mehr
war, sondern Fenster wieder, und das Zimmer Zimmer, und das Knäuel aus
Ur-Furcht und lautlosem Schrei wieder sie, für kurze Zeit auf Erden Lillian
Dunkerque genannt.
Es klopfte. Charles
Ney stand draußen in einem roten Schlafrock
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