E.M. Remarque
worden aus dem Krater des
Berges in einem Ausbruch und schwebe nun, ikarusgleich, mit weiten
Asbest-Schwingen zur Erde hernieder, in die wartenden Arme eines endlosen
Gefühls, das weiter als Liebe war und irgendwo auf der Tribüne sich
personifiziert hatte in einer Frau, einem Namen und einem Mund.
»Los!« schrie der
Rennleiter.
Der Wagen raste
weiter; aber Clerfayt fuhr plötzlich nicht mehr allein. Wie der Schatten eines
hochfliegenden Flamingos flog jetzt das Gefühl mit ihm, manchmal hinter ihm wie
ein Wind und manchmal vor ihm wie eine durchsichtige Fahne, aber immer dicht
bei ihm.
In
der
nächsten Runde fing der Wagen an zu tanzen. Clerfayt fing ihn ab, aber die
Hinterräder rutschten ihm wieder weg, er steuerte dagegen, eine Kurve tauchte
auf, besetzt von Menschen wie der Kuchen eines Landbäckers von Fliegen, der
Wagen war immer noch ohne Kontrolle, er rutschte und schlug, Clerfayt schaltete
auf der kurzen Strecke, die ihm noch blieb bis zur Kurve, er gab Gas, aber der
Wagen riß seine Arme herum, er spürte einen Riß in der Schulter, die Kurve
wuchs riesenhaft in den glänzenden Himmel, die Menschen verdreifachten sich,
sie wuchsen auch, sie wurden zu Riesen, es schien unmöglich, ihnen
auszuweichen, Schwärze stürzte vom Himmel, er biss in irgend etwas, jemand
schien seinen Arm auszureißen, aber er hielt fest, heiße Lava schoß in die
Schulter, in der stürzenden Landschaft war nur noch ein Stück Blau scharf,
blendend, er hielt es mit den Augen, während der Wagen unter ihm bockte, und
dann sah er die Öffnung, die einzige, in der es nicht von gigantischen
zweibeinigen Fliegen krabbelte, er riß noch einmal das Steuer herum, trat auf
den Gashebel und – Wunder, der Wagen folgte ihm, schoß durch die Lücke,
den Hang hinauf, fing sich zwischen Buschwerk und Steinen, der zerfetzte obere
Teil des Hinterreifens knallte wie eine Peitsche, und der Wagen stand.
Er sah die Menschen
auf sich zukommen. Sie waren auseinandergespritzt wie Wasser, in das ein Stein
schlägt – jetzt kamen sie schreiend, mit verzerrten Gesichtern zurück, die
Arme ausgestreckt, die Fäuste schüttelnd, mit den offenen, schwarzen Löchern
der Münder. Er wußte nicht, ob sie ihn töten oder ihm gratulieren wollten, es
war ihm im Augenblick auch egal, nur das eine war nicht egal: Sie durften den
Wagen nicht berühren, ihm nicht helfen, sonst war er disqualifiziert. »Weg!
Nicht anfassen!« schrie er, stand auf, spürte wieder den Schmerz, fühlte Wärme,
sah Blut, das aus der Nase auf seinen blauen Overall tropfte, konnte nur einen
Arm heben, drohte, wehrte ab: »Nicht anfassen! Nicht helfen!«, taumelte aus dem
Wagen, stand vor dem Kühler: »Nicht helfen! Verboten!«
Sie blieben stehen.
Sie sahen, daß er gehen konnte. Das Blut war ungefährlich; er war nur mit dem
Gesicht aufgeschlagen. Er rannte um den Wagen. Er sah den Reifen an. Der äußere
Teil hatte sich gelöst. Er fluchte. So etwas bei einem neuen Reifen! Rasch
zerschnitt er den Gummistreifen und riß ihn herunter, dann fühlte er den Reifen
ab. Er hatte noch Luft, etwas zu wenig, schien ihm aber genug, um die Stöße der
Straße aufzufangen, wenn er nicht zu schnell in die Kurven ging. Die Schulter
war nicht gebrochen, der Arm war nur verstaucht. Er mußte versuchen, mit dem
rechten Arm weiterzufahren. Er mußte das Depot erreichen; dort war Torriani, um
ihn abzulösen, und dort waren die Monteure und ein Arzt.
»Weg von der
Straße!« schrie er. »Wagen kommen!«
Er brauchte nichts
mehr zu sagen. Das Singen des nächsten Wagens kam hinter den Hängen heran,
steigerte sich, die Menschen krochen den Abhang hinauf, das Heulen füllte die
Welt aus, die Reifen schrien, der Wagen schoß wie ein Projektil niedrig, eine
Staubbombe, um die Kurve.
Clerfayt saß wieder
in seinem
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