E.M. Remarque
einem Seiltänzer.
Ich blickte zu Natascha hinüber. Ich liebte
sie sehr, aber ich spürte, daß keine Sentimentalität dabei war. Solange sich
daran nichts änderte, wußte ich, daß ich einigermaßen sicher war. Ich konnte
abbrechen, ohne verletzt zu werden. Ich sah auf die schönen Schultern und den
faszinierenden Arm und machte lautlose, beschwörende Zeichen mit den Händen: bleib
da, du herrliches fremdes Stück Welt! Verlaß mich nicht, bevor ich dich
verlasse! Sei gegrüßt, du Stück wilder Frieden!
»Was machst du da nur?« sagte Natascha.
Ich ließ die Hände sinken. »Wieso kannst du
mich sehen?« fragte ich. »Du liegst doch auf dem Bauch!«
Sie deutete auf einen kleinen Spiegel, der
neben dem Radio auf dem Nachttisch stand. »Versuchst du mich zu verhexen?«
fragte sie. »Oder hast du schon genug vom Leben am häuslichen Herd?«
»Keines von beiden. Und wir rühren uns
nicht aus dieser Burg zwischen der schon fast entwichenen Puffmagik und der so
nahen Homosexualität! Höchstens nachmittags machen wir wie ordentliche
Amerikaner, die schon mit der ›Mayflower‹ herüberkamen, einen Spaziergang über
die Fifth Avenue. Doch dann gleich zurück zu Radio, Steak am elektrischen Grill
und Liebe.«
Wir gingen nicht einmal nachmittags auf die
Straße. Wir öffneten statt dessen die Fenster für eine Stunde und ließen die
heiße Luft herein, dann stellten wir die Klimaanlage wieder auf volle Fahrt,
damit wir nicht schwitzten, während wir uns liebten. Ich hatte am Ende des
Tages das Gefühl, als hätten wir fast ein Jahr im gewichtslosen Frieden eines
Vakuums gelebt.
XX.
I ch gebe ein kleines Fest«,
erklärte Silvers. »Sie sind auch eingeladen.«
»Danke«, sagte ich ohne Begeisterung. »Ich
muß leider absagen. Ich habe keinen Smoking.«
»Sie brauchen keinen. Dies ist eine
Sommerparty. Jeder kann kommen, wie er will.«
Ich sah keinen Ausweg. »Gut«, sagte ich.
»Könnten Sie nicht Mrs. Whymper
mitbringen?«
»Haben Sie sie eingeladen?«
»Noch nicht. Aber sie ist ja eine Bekannte
von Ihnen.«
Ich sah den verschlagenen Burschen an. »Ich
glaube nicht, daß sie sich ohne weiteres mitbringen läßt. Außerdem ist sie ja
schon viel länger eine Bekannte von Ihnen, wie Sie mir gesagt haben.«
»Nun, ich meinte nur so. Es kommen sehr
interessante Leute.«
Ich konnte mir die interessanten Leute gut
vorstellen. Für den Teil der Menschheit, der vom Handel lebt, ist angewandte
Psychologie sehr einfach. Der, an dem man Geld verdient, ist ein interessanter
Mann, der Rest gliedert sich in nette und gleichgültige Leute. Der, an dem man
Geld verliert, ist natürlich ein Schweinehund. Silvers befolgte diese Regeln
fanatisch, er ging sogar noch weiter.
Die Rockefellers, Fords und Mellons, von
denen Silvers mir soviel erzählt hatte, daß ich glauben mußte, sie wären seine
besten Freunde und müßten deswegen unbedingt dabei sein, fehlten. Dafür waren
andere Millionäre da – wahrscheinlich sogar solche aus der ersten
Generation, nicht aus der zweiten oder gar dritten. Sie waren laut, herzlich
und bewegten sich auf der faszinierenden Ebene zwischen großer Sicherheit im
Geldverdienen und leichter Unsicherheit in der Kenntnis der Bilder, die sie
gekauft hatten. Alle fühlten sich als Sammler, nicht als Leute, die einfach ein
paar Bilder erworben hatten, um sie in ihre Häuser zu hängen. Es war Silvers'
großer Trick: Er machte sie zu Sammlern, er sorgte dafür, daß gelegentlich ein
Museum eines ihrer Bilder für eine Ausstellung auslieh, das dann mit dem
Vermerk ›Aus der Sammlung von Mr. und Mrs. X‹ im Katalog aufgeführt wurde und
somit auf der heißbegehrten gesellschaftlichen Stufenleiter wieder einen
Schritt weiter führte.
Ich sah mich plötzlich Mrs.
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