E.M. Remarque
tun?«
»Ich weiß nicht. Es fiel mir nur so ein.«
»Kahn ist kein Schriftsteller. Er ist das
Gegenteil, ein Mann der Tat.«
»Eben«, erwiderte Betty zaghaft. »Aber
vielleicht irre ich mich.« – »Sicher, Betty.«
Ich war nicht so sicher, als ich die
dunklen Treppen hinabstieg. Im Flur begegnete ich Gräfenheim. »Wie ist sie?«
fragte er.
»Schwierig«, sagte ich. »Geben Sie ihr
Mittel?«
»Noch nicht. Sie wird sie früh genug
brauchen.«
Ich ging die regennasse Straße entlang. In
der Nähe von Kahns Laden bog ich ab. Ich hatte zur 57. Straße weitergehen
wollen, aber jetzt wollte ich nachsehen, was er machte.
Ich fand ihn in seinem Laden. »Wann fahren
Sie nach Hollywood?«
»In zwei Tagen.«
»Es kann sein, daß Sie Carmen dort
auftauchen sehen.«
»Carmen?«
Kahn lachte. »Irgendein kleiner Assistent
hat ihr einen Anfängerkontrakt gegeben. Für drei Monate. Hundert Dollar die
Woche. Sie wird bald wieder hier sein. Sie ist ein Antitalent.«
»Wollte sie?«
»Nein. Sie ist zu bequem. Ich habe ihr
zureden müssen.«
»Warum?«
»Damit sie nicht glaubt, etwas versäumt zu
haben. Sie könnte es mir sonst ewig vorwerfen. So weiß sie es nach drei Monaten
selbst. Stimmt's?«
Ich antwortete nicht. Er war nervös.
»Stimmt es nicht?« fragte er noch einmal.
»Ich hoffe es. Sie ist sehr schön. Ich
hätte es nicht riskiert.«
Er lachte wieder, etwas hektisch. »Warum
nicht? In Hollywood gibt es Tausende wie sie. Und solche mit mehr Talent. Sie
kann ja nicht einmal Englisch! Kümmern Sie sich etwas um sie, wenn sie
ankommt.«
»Natürlich, Kahn. Soweit man sich um ein
hübsches Mädchen kümmern kann.«
»Bei Carmen ist das einfach. Sie schläft
meistens.«
»Ich werde es gern tun. Aber ich kenne ja
selbst niemand. Vielleicht Tannenbaum, sonst niemand.«
»Dann essen Sie ab und zu mit Carmen. Und
reden Sie ihr zu, nach New York zurückzufahren, wenn es soweit ist.«
»Gut. Was machen Sie, wenn sie weg ist?«
»Dasselbe wie immer.«
»Was?«
»Nichts. Ich verkaufe Radioapparate. Was
kann ich sonst machen? Der Enthusiasmus, am Leben zu sein, ist wie Champagner.
Wenn man ihn geöffnet hat, wird er bald abgestanden. Gut, daß fast niemand
lange darüber nachdenkt. Viel Glück, Ross! Werden Sie kein Schauspieler! Sie
sind schon einer!«
***
»Wenn du
zurückkommst,
wird dieses Wolkenkuckucksnest wieder das Heim eines melancholischen
Homosexuellen sein«, sagte Natascha. »Er kommt in einer Woche. Ein Brief auf
grauem Bütten, nach Jockeyklub duftend, hat es mir heute morgen angekündigt.«
»Von wo?«
»Interessiert dich das plötzlich?«
»Nein, es war eine idiotische Frage, um
meine Verwirrung zu verbergen.«
»Nein. Es ist eine Frage aus allgemeinem
Interesse an menschlichen Entwicklungen.«
Sie stützte einen Arm auf und blickte in
den Spiegel, so daß unsere Augen sich trafen. »Wie kommt es, daß wir viel mehr
Interesse an Unglück haben als an Glück? Sind wir neidische Biester?«
»Das sicher. Aber außerdem ist Glück
langweilig, Unglück nicht.«
Sie lachte. »Da ist was dran. Über Glück
kann man höchstens fünf Minuten reden. Da ist nichts anderes zu sagen, als daß
man glücklich ist. Über Unglück kann man nächtelang sprechen. Stimmt das?«
»Es stimmt bei kleinerem Unglück«, sagte
ich zögernd. »Nicht bei wirklichem.«
Sie sah mich immer noch an. Das Licht vom
Wohnzimmer fiel schräg in ihre Augen und machte sie seltsam hell und
durchsichtig. »Bist du sehr unglücklich, Robert?« fragte sie, und ihre Augen
ließen mich nicht los.
»Nein«, erwiderte ich nach einer Weile.
»Gut, daß du nicht gesagt hast, du wärst
glücklich. Meistens habe ich nichts gegen Lügen. Ich lüge selbst nicht
schlecht. Aber manchmal kann ich es nicht ertragen.«
»Ich wünschte gerade sehr, daß ich
glücklich wäre«, sagte ich.
»Du bist es nicht. Nicht so, wie
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