E.M. Remarque
es war ein zähes, langsames Erwachen, als müsse ich mich aus einem
Morast hocharbeiten, in dem ich fast erstickt wäre.
Ich horchte. Wahrscheinlich hatte ich
geschrien. Ich schrie immer, wenn ich diesen Traum hatte, und es dauerte jedes
Mal lange, bis ich mich aus ihm zurückfand. Ich träumte, jemanden ermordet und
vergraben zu haben in einem verwilderten Garten an einem Bach, und daß man ihn
nach langer Zeit gefunden habe, und daß das Unheil auf mich zugeschlichen kam
und man mich fassen würde. Ich wußte nie genau zu sagen, ob es ein Mann oder
eine Frau war, die ich umgebracht hatte. Ich wußte auch nicht, weshalb ich es
getan hatte, und es schien mir auch, als hätte ich im Traum schon vergessen
gehabt, daß ich es getan hatte. Um so unheimlicher war dann das Erschrecken und
die tiefe Bestürzung, die mir lange nach dem Erwachen folgten, als wäre der
Traum doch noch Wahrheit. Die Nacht und das jähe Aufschrecken hatten alle
Schutzzäune, die ich um mich gebaut hatte, niedergerissen. Der gekalkte Raum im
Krematorium mit den Haken zum Erhängen und den Flecken darunter, die von den
zuckenden Köpfen stammten, die den Kalk weggescheuert hatten, war wieder da in
der schwülen Nacht, und die skeletthafte Hand am Boden, die sich noch bewegte,
und die fettige Stimme, die befahl: »Tritt drauf! Willst du dreckiges Aas wohl
drauf trampeln? Los, oder ich mach dich kalt! Wir hängen dich Schwein dazu,
aber langsam, mit Genuß!« Ich hörte die Stimme wieder und sah die kalten
höhnenden Augen und sagte mir zum hundertsten Male vor, daß er mich umgebracht
hätte wie eine Stubenfliege, so wie er Dutzende anderer Häftlinge aus Vergnügen
umgebracht hatte, wenn ich es nicht getan hätte. Er wartete nur darauf, daß ich
zögerte. Trotzdem fühlte ich, wie jedes Mal der Schweiß von meinen Achselhöhlen
herunterrann, und ich stöhnte wie jedes Mal, hilflos und dem Erbrechen nahe.
Diese fette Stimme und diese sadistischen Augen mußten ausgelöscht werden.
März, dachte ich. Egon März. Man hat mich später freigelassen, in einem dieser
widerspruchsvollen Anfälle des Regimes, weil ich kein Jude war, und ich war
geflüchtet. Die holländische Grenze war nicht weit; ich kannte sie und hatte
Hilfe, aber ich wußte, daß ich dieses Gesicht noch einmal vor mir haben mußte,
bevor ich sterbe.
Ich saß auf meinem Bett, die Beine
hochgeschlagen, wie von innen her erstarrt in der kurzen Sommernacht. Ich saß
da und dachte an alles, was ich hatte verscharren und beerdigen wollen, und
wieder aufs neue, daß es nicht möglich war und daß ich zurück mußte und daß ich
nicht vorher verenden und aus Ekel und Verzweiflung Schluß machen durfte, so
ähnlich wie Moller. Ich mußte am Leben bleiben und mich retten, und es war
egal, wonach ich griff. Ich wußte, daß die Nacht alles dramatischer macht und
die Werte und die Begriffe vergrößert, aber ich saß trotzdem da und fühlte die
Schattenflügel der Reue, der hilflosen Wut und der Trauer. Ich saß da, die
Nacht wurde grau, ich sprach mit mir wie mit einem Kinde, ich wartete auf den
Tag, und als er kam, war ich zerschlagen, als hätte ich die ganze Nacht mit
einem Messer gegen eine unendliche Wand schwarzer Watte gekämpft, die nicht
beschädigt worden war.
XIV.
S ilvers schickte mich zu
Cooper, dem Mann, der die Degas-Tänzerin gekauft hatte. Ich sollte ihm das Bild
bringen und ihm helfen, es aufzuhängen. Cooper wohnte im vierten Stock eines
Hauses an der Park Avenue. Ich erwartete, an der Tür von einem Diener
abgefertigt zu werden, aber Cooper selber empfing mich in Hemdsärmeln. »Kommen
Sie herein«, sagte er. »Wir wollen uns Zeit nehmen, einen Platz für diese
grünblaue Dame zu finden. Wollen Sie einen Whisky? Oder lieber Kaffee?«
»Danke, ich nehme gerne einen
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