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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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ei­gent­lich nichts
pas­sie­ren«, sag­te sie schließ­lich fast zag­haft. »Wir sit­zen bei­de in der
Tin­te.«
    »Nichts kann pas­sie­ren«, be­stä­tig­te ich,
»wir sind bei­de ge­brann­te Kin­der und höl­lisch vor­sich­tig.«
    Der Kell­ner kam mit der Rech­nung. »Ich
glau­be, man schließt hier«, sag­te Na­ta­scha.
    Ich spür­te einen Mo­ment die al­te Pa­nik. Ich
woll­te an die­sem Abend nicht al­lein sein und fürch­te­te, Na­ta­scha wol­le schon
ge­hen. »Ha­ben Sie den Wa­gen nicht so lan­ge, bis die Thea­ter schlie­ßen?« frag­te
ich.
    »Doch. Wol­len wir bis da­hin um­her­fah­ren?«
    »Sehr ger­ne.«
    Wir stan­den auf. Die Ter­ras­se und der Zoo
wa­ren ganz leer. Die Dun­kel­heit hing mit schwar­zen Fah­nen in den Bäu­men. Man
hät­te das Ge­fühl ha­ben kön­nen, auf ei­nem Dorf­platz zu sein, wo in ei­nem Brun­nen
lei­se plät­schernd die See­lö­wen wie Ne­ger­kin­der ba­de­ten und wei­ter ent­fernt die
Stäl­le für die Büf­fel und Ze­bras wa­ren.
    »Ist dies schon die Stun­de, wo der Cen­tral
Park ge­fähr­lich wird?«
    »Dies ist erst die Stun­de der Voy­eurs und
Per­ver­sen. Sie schlei­chen sich an die Bän­ke her­an, auf de­nen Lie­bes­paa­re sich
küs­sen. Die Stun­de der Hand­ta­schen­räu­ber, Ver­ge­wal­ti­ger und Mör­der kommt
spä­ter, wenn es ganz dun­kel ist. Auch die der Ban­den, die um­her­strol­chen.«
    »Kann die Po­li­zei nichts da­ge­gen tun?«
    »Sie fährt die We­ge ab und hat Pa­trouil­len,
aber der Park ist rie­sen­groß, und man kann sich über­all ver­ste­cken. Scha­de. Es
wä­re schön, wenn es im Som­mer an­ders wä­re. Jetzt ist nichts zu fürch­ten; wir
sind ja nicht al­lein.«
    Sie nahm mei­nen Arm. Jetzt ist nichts zu
fürch­ten, wir sind ja nicht al­lein, dach­te ich und fühl­te sie dicht ne­ben mir.
Die Dun­kel­heit war kei­ne Ge­fahr; sie schütz­te und ver­schwieg und hat­te
Ge­heim­nis­se, die wie Trost aus ihr her­vorglänz­ten. Ich spür­te ei­ne fast an­ony­me
Zärt­lich­keit, ei­ne Zärt­lich­keit, die noch kei­nen Na­men hat­te und noch an
nie­mand ge­bun­den war, die frei schweb­te wie ein Hauch im spä­ten Som­mer­abend und
doch schon ein sanf­ter Be­trug war. Sie war nicht rein, son­dern ein Ge­misch aus
ver­schie­de­nen Grün­den, es war Angst dar­in und die Furcht, daß die Ver­gan­gen­heit
wie­der auf­zie­hen könn­te, es war Feig­heit da­bei und der Wunsch, nicht noch
ver­lo­ren zu ge­hen in je­ner ge­heim­nis­vol­len und lau­ern­den Zwi­schen­zeit der
Hilf­lo­sig­keit, die zwi­schen Ret­tung und Ent­kom­men liegt, und es war das blin­de
Tas­ten dar­in, das nach al­lem greift, was wie Ge­bor­gen­heit aus­sieht. Ich fühl­te
Scham dar­über, aber ich trös­te­te mich ober­fläch­lich da­mit, daß auch Na­ta­scha
nicht sehr viel an­ders sei, daß auch sie wie ei­ne Pflan­ze war, die sich an das
nächs­te an­klam­mer­te, oh­ne viel zu fra­gen und oh­ne all­zu große Ehr­lich­keit. Sie
woll­te nicht al­lein sein in ei­ner ge­stör­ten Pe­ri­ode ih­res Le­bens, und so woll­te
auch ich es nicht mehr. Mit all den ver­steck­ten Grün­den aber schweb­te die­se
laue, leich­te Zärt­lich­keit um uns her, die so ge­fahr­los zu sein scheint, weil
sie noch kei­nen Na­men hat und kei­nen Schmerz kennt, der sich an sie wie ein
Gei­er­fuß krallt und dem man sich des­halb so leicht er­gibt.
    »Ich be­te dich an«, sag­te ich plötz­lich zu
mei­ner ei­ge­nen Über­ra­schung und ge­gen mei­nen Wil­len, als wir durch den
Lau­ben­gang mit den gel­ben La­ter­nen schrit­ten, der zur Fifth Ave­nue führ­te, vor
uns den brei­ten Schat­ten des Chauf­feurs. »Ich ken­ne dich nicht und be­te dich
an, Na­ta­scha«, wie­der­hol­te ich und be­merk­te, daß ich sie zum ers­ten Mal ge­duzt
hat­te.
    Sie wand­te sich mir zu. »Es ist nicht
wahr«, er­wi­der­te sie. »Du lügst und es ist nicht wahr. Aber sa­ge es trotz­dem,
es ist gut, die­sen Satz zu hö­ren.«
    ***
    Ich wach­te auf, aber
es dau­er­te ei­ne Wei­le, ehe ich mir klar­ma­chen konn­te, daß ich ge­träumt hat­te.
Erst all­mäh­lich er­kann­te ich die dunklen Kon­tu­ren mei­nes Zim­mers wie­der, die
hel­le­ren des Fens­ters und den schwa­chen Schein der röt­li­chen Nacht von New
York. Aber

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