E.M. Remarque
weiß ich nicht. Ich weiß seit einigen Wochen nichts
mehr von ihr. Habe sie auch nicht mehr gesehen.«
»Und vorher?«
»Vorher hat sie eine Zeitlang nach dir gefragt. Dann
nicht mehr.«
»Ist sie nicht mehr in der Scheherazade?«
»Nein. Sie hat
aufgehört vor ungefähr fünf Wochen. Dann war sie noch zwei-, dreimal da. Später
nicht mehr.«
»Ist sie nicht mehr in Paris?«
»Ich glaube nicht. Scheint wenigstens nicht so. Sonst
hätte ich sie ja weiter ab und zu in der Scheherazade gesehen?«
»Weißt du, was sie macht?«
»Irgendwas mit Film, glaube ich. Das hat sie wenigstens
der Garderobenfrau gesagt. Du weißt ja, wie so etwas ist. Irgendein verdammter
Vorwand.«
»Vorwand?«
»Ja, Vorwand«, sagte Morosow grimmig. »Was sonst, Ravic?
Hast du etwas anderes erwartet?«
»Ja.«
Morosow schwieg. »Erwarten und wissen ist zweierlei«,
sagte Ravic.
»Nur für gottverdammte Romantiker. Trink was Vernünftiges
– nicht die Limonade da. Einen anständigen Calvados ...«
»Calvados nicht gerade. Kognak, wenn es dich beruhigt.
Oder meinetwegen auch Calvados.«
»Endlich«, sagte Morosow.
Die Fenster. Die blaue Silhouette der Dächer. Das
verschossene rote Sofa. Das Bett. Ravic wußte, daß er es durchzustehen hatte.
Er saß auf dem Sofa und rauchte. Morosow hatte ihm seine Sachen herübergebracht
und ihm gesagt, wo er ihn finden könne, wenn er wolle.
Er hatte den alten Anzug weggeworfen. Er hatte gebadet,
heiß und lange, mit viel Seife. Er hatte drei Monate weggeschwemmt und von
seiner Haut geschrubbt. Er hatte reine Wäsche angezogen, einen anderen Anzug,
sich rasiert; und er wäre am liebsten noch in ein türkisches Bad gegangen, wenn
es nicht zu spät gewesen wäre. Er hatte alles das getan und sich gut dabei
gefühlt. Er hätte gern noch mehr getan, denn jetzt plötzlich, während er am
Fenster saß, begann die Leere aus den Winkeln an ihn heranzukriechen.
Er schenkte sich ein Glas Calvados ein. Unter seinen
Sachen war noch eine Flasche mit einem kleinen Rest darin gewesen. Er erinnerte
sich an die Nacht, als er sie mit Joan getrunken hatte, aber er empfand wenig
dabei. Es war zu lange her. Er merkte nur, daß es guter, alter Calvados war.
Der Mond stieg langsam über die Dächer. Der dreckige Hof
gegenüber wurde ein Palast aus Schatten und Silber. Alles konnte aus Dreck zu
Silber werden mit einem bißchen Phantasie. Ein Geruch von Blumen kam durch das
Fenster. Der herbe Geruch von Nelken in der Nacht. Ravic lehnte sich über die
Brüstung und sah hinunter. Auf dem Fensterbrett unter ihm stand ein Holzkasten
mit Blumen. Sie gehörten dem Emigranten Wiesenhoff, wenn er noch da wohnte.
Ravic hatte ihm einmal den Magen ausgepumpt. Weihnachten vor einem Jahr.
Die Flasche war leer. Er warf sie auf das Bett. Da lag
sie wie ein schwarzer Embryo. Er stand auf. Wozu starrte er auf das Bett? Wenn
man keine Frau hatte, mußte man sich eine holen. Das war einfach in Paris.
Er ging durch die schmalen Straßen dem Etoile zu. Das
warme Leben der nächtigen Stadt schlug ihm von den Champs-Elysées entgegen. Er
ging zurück, rasch, dann immer langsamer, bis er zum Hotel Milan kam.
»Wie geht’s?« fragte er den Portier.
»Ah, Monsieur!« Der Portier stand auf. »Monsieur war
lange nicht hier.«
»Ja, eine Zeitlang nicht. Ich war nicht in Paris.«
Der Portier musterte ihn mit flinken, kleinen Augen.
»Madame ist nicht mehr hier.«
»Ich weiß. Schon längst nicht mehr.«
Der Portier war ein guter Portier. Er wußte, was man von
ihm wollte, ohne gefragt zu werden. »Vier Wochen jetzt«, sagte er. »Vor vier
Wochen ist sie ausgezogen.«
Ravic nahm eine Zigarette aus dem Päckchen. »Ist Madame
nicht mehr in Paris?« fragte der Portier.
»Sie ist in Cannes.«
»Cannes!« Der Portier fuhr sich mit der großen Hand über
das Gesicht. »Sie
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