E.M. Remarque
ausstehen.
Er merkte, daß Joan ihn beobachtete. Sie war nicht ganz
sicher, wie er es nehmen würde; aber sie war sicher genug gewesen, es zu
riskieren.
»Schön«, sagte er. »Groß und schön.«
Er hob den Deckel des
Grammophons auf. Es war ein guter Truhenapparat mit einem Mechanismus, der
automatisch die Platten wechselte. Auf einem Tisch daneben lag ein Haufen
Platten, Joan nahm einige und legte sie auf.
»Weißt du, wie er funktioniert?«
Er wußte es. »Nein«, sagte er.
Sie drehte einen Knopf. »Er ist wunderbar. Spielt für
Stunden. Man braucht nicht aufzustehen und Platten zu wechseln und
umzuschalten. Man kann daliegen und zuhören und sehen, wie es draußen dunkler
wird, und träumen.«
Der Apparat war ausgezeichnet. Ravic kannte die Marke und
wußte, daß er ungefähr zwanzigtausend Frank kostete. Er füllte den Raum mit
weicher, schwebender Musik – mit den sentimentalen Liedern von Paris.
»J’attendrai« …
Joan stand vorgebeugt und lauschte. »Gefällt es dir?«
fragte sie.
Ravic nickte. Er sah nicht auf den Apparat. Er sah auf
Joan. Er sah auf ihr Gesicht, das entzückt war und hingegeben an die Musik. Wie
leicht das bei ihr war – und wie er sie geliebt hatte wegen dieser
Leichtigkeit, die er nicht hatte! Vorbei, dachte er ohne Schmerz, mit einem
Gefühl wie jemand, der Italien verläßt und zurückgeht in den nebligen Norden.
Sie richtete sich auf und lächelte. »Komm – du hast das
Schlafzimmer noch nicht gesehen.«
»Muß ich es sehen?«
Sie sah ihn eine Sekunde forschend an. »Willst du es
nicht sehen? Warum nicht?«
»Ja, warum nicht?« sagte er.
»Natürlich.«
Sie streifte sein Gesicht und küßte ihn, und er wußte,
weshalb. »Komm«, sagte sie und nahm seinen Arm.
Das Schlafzimmer war französisch eingerichtet. Das Bett
groß, im Stil Louis XVI. und künstlich antiquiert – ein nierenförmiger
Toilettentisch der gleichen Art – ein falscher Barockspiegel – ein moderner
Aubussonteppich – Stühle, Sessel, alles im Stile eines billigeren Filmsets.
Dazwischen eine sehr schöne, gemalte florentinische Truhe aus dem sechzehnten
Jahrhundert, die überhaupt nicht hineinpaßte und wirkte wie eine Prinzissin
unter reich gewordenen Portierskindern. Sie war achtlos in die Ecke geschoben.
Ein Hut mit Veilchen und ein paar silberne Schuhe lagen auf ihrem kostbaren
Deckel.
Das Bett war offen und
nicht gemacht. Ravic konnte sehen, wo Joan gelegen hatte. Eine Anzahl
Parfümflaschen stand auf dem Toilettentisch. Einer der eingebauten Schränke war
geöffnet. Eine Anzahl Kleider hing darin. Mehr, als sie früher gehabt hatte.
Joan hatte Ravics Arm nicht losgelassen. Sie lehnte sich an ihn. »Gefällt es
dir?«
»Gut. Paßt sehr gut zu dir.«
Sie nickte. Er fühlte ihren Arm und ihre Brust, und ohne
zu denken, zog er sie näher an sich. Sie ließ es geschehen und gab nach. Ihre
Schultern berührten seine Schultern. Ihr Gesicht war ruhig; es war nichts mehr
von der leichten Erregung des Anfangs darin. Es war sicher und klar, und es
schien Ravic, als wäre mehr als unterdrückte Befriedigung darin – ein fast
unsichtbarer, ferner Schatten von Triumph.
Sonderbar, wie gut ihnen Niederträchtigkeiten bekommen,
dachte er. Ich soll hier zu einer Art von Zweiter-Klasse-Gigolo gemacht werden
und bekomme mit naiver Unverschämtheit sogar die Bude gezeigt, die ihr
Liebhaber ihr eingerichtet hat – und dabei sieht sie gerade jetzt aus wie die
Nike von Samothrake.
»Schade, daß du so etwas nicht haben kannst«, sagte sie.
»Eine Wohnung. Man fühlt sich ganz anders darin. Anders als in diesen traurigen
Hotelzimmern.«
»Du hast recht. Es war gut, dies hier noch gesehen zu
haben. Ich gehe jetzt, Joan ...«
»Du willst gehen? Schon? Du bist
Weitere Kostenlose Bücher