E.M. Remarque
meiner Wohnung«, sagte sie.
»Hier in Paris?«
»Natürlich. Wo sonst?«
»Bist du krank?«
»Nein. Warum?«
»Weil du in der Klinik anrufst.«
»Ich habe schon im Hotel angerufen. Du warst nicht mehr
da. Da habe ich in der Klinik angerufen.«
»Ist etwas los?«
»Nein. Was soll los sein? Ich wollte wissen, wie es dir
geht.«
Ihre Stimme war jetzt klarer. Ravic zog eine Zigarette
und einen Karton mit Streichhölzern hervor. Er klemmte das Oberteil unter
seinen Ellbogen, riß ein Streichholz ab und zündete es an.
»Es ist die Klinik, Joan«, sagte er. »Man erwartet da
immer Unglücksfälle und Krankheiten.«
»Ich bin nicht krank. Ich bin im Bett, aber ich bin nicht
krank.«
»Gut.« Ravic schob die Streichhölzer auf dem weißen
Wachstuch des Tisches hin und her. Er wartete auf das, was kommen würde.
Joan wartete auch. Er hörte sie atmen. Sie wollte, daß er
beginnen sollte. Es war einfacher für sie.
»Joan«, sagte er. »Ich kann nicht lange am Telefon
bleiben. Ich habe einen Verband offen und muß zurück.«
Sie schwieg einen Augenblick. »Warum höre ich nichts von
dir?« sagte sie dann.
»Du hörst nichts von mir, weil ich weder deine
Telefonnummer habe noch weiß, wo du wohnst.«
»Aber das habe ich dir doch gesagt.«
»Nein, Joan.«
»Doch. Ich habe es dir gesagt.« Sie war jetzt auf
sicherem Boden. »Bestimmt. Ich weiß es. Du hast es nur wieder vergessen.«
»Gut. Ich habe es vergessen. Sage es mir noch einmal. Ich
habe einen Bleistift hier.«
Sie gab ihm ihre Adresse und Telefonnummer. »Ich bin
überzeugt, daß ich es dir gesagt habe, Ravic. Ganz bestimmt.«
»Schön, Joan. Ich muß zurück. Wollen wir heute abend zusammen
essen?«
Sie schwieg einen Moment. »Warum kommst du mich nicht
einmal besuchen?« fragte sie dann.
»Gut. Das kann ich auch. Heute abend. Um acht?«
»Warum kommst du nicht jetzt?«
»Jetzt muß ich arbeiten.«
»Wie lange?«
»Ungefähr noch eine Stunde.«
»Komm dann.«
Ach so, abends hast du keine Zeit, dachte er und fragte:
»Warum nicht abends?«
»Ravic«, sagte sie. »Manchmal weißt du die einfachsten
Sachen nicht. Weil ich gern möchte, daß du jetzt kommst. Ich will nicht warten
bis abends. Weshalb würde ich sonst wohl um diese Zeit in der Klinik anrufen?«
»Gut. Ich komme, wenn ich hier fertig bin.« Er faltete
nachdenklich den Zettel zusammen und ging zurück.
Es war ein Haus an der Ecke der Rue Pascal. Joan
wohnte im obersten Stock. Sie öffnete die Tür. »Komm«, sagte sie. »Gut, daß du
da bist! Komm ’rein.«
Sie trug ein einfaches schwarzes Dressing-gown, das so
geschnitten war wie das eines Mannes. Es war eine ihrer Eigenschaften, die
Ravic gern an ihr hatte: sie trug nie irgendwelche wolkigen Tüll- oder
Seidenangelegenheiten. Ihr Gesicht war blasser als gewöhnlich und etwas erregt.
»Komm«, sagte sie. »Ich habe auf dich gewartet. Du sollst doch sehen, wie ich
wohne.«
Sie ging ihm voran. Ravic lächelte. Sie war geschickt.
Sie brach im voraus jede Frage ab. Er blickte auf die schönen, geraden
Schultern. Das Licht fiel auf ihr Haar. Er liebte sie einen atemlosen
Augenblick sehr.
Sie führte ihn in einen großen Raum. Es war ein Studio,
das voll im Mittagslicht lag. Ein hohes, breites Fenster ging zu den Gärten
zwischen der Avenue Raphael und der Avenue Proudhon hinaus. Nach rechts konnte
man bis zur Porte de la Muette sehen. Dahinter schimmerte golden und grün ein
Stück des Bois.
Der Raum war im halbmodernen Geschmack eingerichtet. Eine
große Couch mit zu blauem Bezug; ein paar Sessel, die bequemer aussahen als sie
waren; zu niedrige Tische; ein Gummibaum; ein amerikanisches Grammophon und
einer von Joans Koffern in der Ecke. Es störte nichts; aber Ravic hatte
trotzdem nicht viel dafür übrig. Entweder ganz gut oder ganz scheußlich – halbe
Sachen sagten ihm nichts. Und Gummibäume konnte er nicht
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