Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
Vom Netzwerk:
En­de, das er be­rührt hat­te, in den Mund zu ste­cken.
Das kann so nicht wei­ter­ge­hen, dach­te er. Aber er aß trotz­dem nicht. Ich muß es
erst ganz er­le­di­gen, be­schloß er und stand auf und zahl­te.
    Ei­ne Her­de Kü­he. Schmet­ter­lin­ge. Die Son­ne über den
Fel­dern. Die Son­ne in der Wind­schutz­schei­be. Die Son­ne auf dem Ver­deck. Die
Son­ne auf dem glän­zen­den Me­tall des Kof­fer­de­ckels, un­ter dem Haa­ke lag – tot, oh­ne
daß er ge­hört hat­te, warum und durch wen. Es hät­te an­ders sein müs­sen. An­ders …
    »Er­kennst du mich, Haa­ke? Weißt du, wer ich bin?«
    Er sah das ro­te Ge­sicht vor sich. »Nein, wie­so? Wer
sind Sie? Ha­ben wir uns frü­her schon ein­mal ge­trof­fen?«
    »Ja.«
    »Wann? Ge­duzt? Ka­det­ten­an­stalt viel­leicht? Er­in­ne­re
mich nicht.«
    »Du er­in­nerst dich nicht, Haa­ke. Es war kei­ne
Ka­det­ten­an­stalt. Es war spä­ter.«
    »Spä­ter? Aber Sie ha­ben doch im Aus­land ge­lebt? Ich
war nie au­ßer­halb Deutsch­lands. Nur in den letz­ten zwei Jah­ren hier in Pa­ris.
Viel­leicht, daß wir im Suff …«
    »Nein. Nicht im Suff. Und nicht hier. In Deutsch­land,
Haa­ke!«
    Ei­ne Bar­rie­re. Ei­sen­bahn­schie­nen. Ein Gar­ten, klein,
ge­drängt voll mit Ro­sen, Flox und Son­nen­blu­men. War­ten. Ein ver­lo­re­ner,
schwar­zer Zug, puf­fend durch den end­lo­sen Mor­gen. Spie­gelnd in der
Wind­schutz­schei­be le­ben die Au­gen, die qual­lig im Kof­fer­raum sich mit
her­ab­fal­len­dem Staub aus den Rit­zen füll­ten.
    »In Deutsch­land? Ah, ich ver­ste­he. Auf ei­nem der
Par­tei­ta­ge. Nürn­berg. Glau­be, mich zu er­in­nern. War es nicht im Nürn­ber­ger
Hof?«
    »Nein, Haa­ke«, sag­te Ra­vic lang­sam in die
Wind­schutz­schei­be hin­ein, und er fühl­te, wie die schwe­re Wel­le der Jah­re
zu­rück, kam. »Nicht in Nürn­berg. In Ber­lin.«
    »Ber­lin?« Das Schat­ten­ge­sicht, durch­zit­tert von
Re­fle­xen, wur­de ei­ne Spur jo­vi­al un­ge­dul­dig. »Na, nun kom­men Sie schon her­aus,
Mensch, mit der Ge­schich­te! Hal­ten Sie nicht hin­ter dem Berg, und span­nen Sie
mich nicht zu lan­ge auf die Fol­ter. Wo war es?«
    Die Wel­le, in den Ar­men jetzt, aus der Er­de
hoch­stei­gend. »Auf der Fol­ter, Haa­ke! Ge­nau das! Auf der Fol­ter!«
    Ein La­chen, un­ge­wiß, vor­sich­tig. »Ma­chen Sie kei­ne
Wit­ze, Mann.«
    »Auf der Fol­ter, Haa­ke! Weißt du nun, wer ich bin?«
    Das La­chen, Un­ge­wis­ser, vor­sich­ti­ger, dro­hend. »Wie
soll ich das wis­sen? Ich se­he Tau­sen­de von Men­schen. Kann mir nicht je­den
ein­zel­nen mer­ken. Wenn Sie auf die Ge­hei­me Staats­po­li­zei an­spie­len … «
    »Ja, Haa­ke. Die Ge­sta­po.«
    Ach­sel­zu­cken. Lau­ern. »Wenn Sie da ein­mal ver­nom­men
wor­den sind …«
    »Ja. Er­in­nerst du dich?«
    Er­neu­tes Ach­sel­zu­cken. »Wie soll ich mich er­in­nern?
Wir ha­ben Tau­sen­de ver­nom­men … «
    »Ver­nom­men! Ge­quält, ge­schla­gen bis zur
Be­wußt­lo­sig­keit, Nie­ren zer­quetscht, Kno­chen zer­bro­chen, wie Sä­cke in den
Kel­ler ge­wor­fen, wie­der her­vor­ge­holt, Ge­sich­ter zer­ris­sen, Ho­den zer­malmt – das
nennt ihr ›ver­nom­men‹! Das hei­ße, ent­setz­li­che Stöh­nen de­rer, die nicht mehr
schrei­en konn­ten – ›Ver­nom­men‹! Das Win­seln zwi­schen Ohn­macht und Ohn­macht,
Fuß­trit­te in den Bauch, Gum­mi­knüp­pel, Peit­schen – ja, al­les das nann­tet ihr
un­schul­dig ›Ver­nom­men‹!«
    Ra­vic starr­te in das un­sicht­ba­re Ge­sicht in der
Wind­schutz­schei­be, durch das laut­los die Land­schaft mit Korn und Mohn und
He­cken­ro­sen glitt – er starr­te hin­ein, sei­ne Lip­pen be­weg­ten sich, und er sag­te
al­les, was er hat­te sa­gen wol­len und ein­mal sa­gen muß­te.
    »Die Hän­de ru­hig! Oder ich schie­ße dich nie­der!
Er­in­nerst du dich an den klei­nen Max Ro­sen­berg, der mit zer­fetz­tem Kör­per im
Kel­ler ne­ben mir lag und ver­such­te, sich den Kopf an der Ze­ment­wand zu
zer­schla­gen, um nicht wie­der ›ver­nom­men‹ zu wer­den – ver­nom­men warum? Weil er
ein De­mo­krat war! Und Will­mann, der Blut piß­te und kei­ne Zäh­ne und nur noch ein
Au­ge hat­te, nach­dem er zwei Stun­den bei euch ›ver­nom­men‹ wor­den war –

Weitere Kostenlose Bücher