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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
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ge­glaubt; es war mög­lich – aber wer wuß­te, was vor­her pas­siert war? Er
hat­te nie an sie den­ken kön­nen, oh­ne den Krampf im Ge­hirn zu spü­ren, der aus
sei­nen Hän­den Klau­en mach­te und sich wie ein Krampf um sei­ne Brust leg­te und
ihn für Ta­ge un­fä­hig mach­te, aus dem ro­ten Ne­bel un­fä­hi­ger Ra­che­hoff­nung zu
ent­kom­men.
    Er dach­te an sie, und der Ring und der Krampf und der
Ne­bel wa­ren plötz­lich nicht mehr da. Et­was war ge­löst, ei­ne Bar­ri­ka­de war weg­ge­räumt,
das star­re Bild des Ent­set­zens be­gann sich zu be­we­gen, es war nicht mehr
fest­ge­fro­ren wie all die Jah­re. Der ver­zerr­te Mund fing an, sich zu schlie­ßen,
die Au­gen ver­lo­ren ih­re Starr­heit, und sanft kehr­te das Blut in das kalk­wei­ße
Ge­sicht zu­rück. Es war nicht mehr ei­ne star­re Mas­ke der Furcht – es wur­de
wie­der Sy­bil, die er kann­te, die mit ihm ge­lebt hat­te, de­ren zärt­li­che Brüs­te
er ge­fühlt hat­te und die durch zwei Jah­re sei­nes Le­bens ge­weht war wie ein
Ju­nia­bend.
    Ta­ge stie­gen auf – Aben­de – wie ein fer­nes, ver­ges­se­nes
Feu­er­zeug plötz­lich hin­ter dem Ho­ri­zont. Ei­ne ver­klemm­te, ver­schlos­se­ne,
blut­über­krus­te­te Tür in sei­ner Ver­gan­gen­heit öff­ne­te sich auf ein­mal leicht und
laut­los, und ein Gar­ten war wie­der da­hin­ter, und nicht ein Ge­sta­po­kel­ler.
    Ra­vic fuhr seit mehr als ei­ner Stun­de. Er fuhr nicht
zu­rück nach Pa­ris. Er hielt auf der Sei­ne­brücke hin­ter St. Ger­main und warf die
Schlüs­sel und den Re­vol­ver Haa­kes ins Was­ser. Dann öff­ne­te er das Ver­deck des
Wa­gens und fuhr wei­ter.
    Er fuhr durch einen Mor­gen in Frank­reich. Die Nacht war
fast ver­ges­sen und lag Jahr­zehn­te hin­ter ihm. Was vor ei­ni­gen Stun­den ge­sche­hen
war, war schon un­deut­lich ge­wor­den – aber was seit Jah­ren ver­sun­ken ge­we­sen
war, stieg rät­sel­haft auf und kam na­he, und es war nicht mehr durch einen
Er­driß ge­trennt.
    Ra­vic wuß­te nicht, was mit ihm ge­sch­ah. Er hat­te
ge­glaubt, leer sein zu müs­sen, mü­de, gleich­gül­tig, er­regt – er hat­te Ekel,
stum­me Recht­fer­ti­gung, Sucht nach Schnaps, Sau­fen, Ver­ges­sen er­war­tet – aber
nicht die­ses. Er hat­te nicht er­war­tet, leicht und ge­löst zu sein, als wenn ein
Schloß von sei­ner Ver­gan­gen­heit ab­ge­fal­len wä­re. Er sah sich um. Die Land­schaft
glitt vor­über, Pro­zes­sio­nen von Pap­peln reck­ten ih­ren fa­ckel­haf­ten, grü­nen
Ju­bel auf­wärts, Fel­der mit Mohn und Korn­blu­men brei­te­ten sich aus, aus den
Bä­cke­rei­en der klei­nen Dör­fer roch es nach fri­schem Brot, und aus ei­nem
Schul­haus san­gen Kin­der­stim­men zu ei­ner Gei­ge.
    Was hat­te er nur vor­hin ge­dacht, als er hier vor­bei­kam?
Vor­hin, ein paar Stun­den, ei­ne Ewig­keit frü­her. Wo war die glä­ser­ne Wand, wo
das Aus­ge­schlos­sen­sein? Ver­flüch­tigt, wie Ne­bel in der stei­gen­den Son­ne. Er sah
die Kin­der wie­der, spie­lend auf den Stu­fen vor den Hau­stü­ren, er sah in der
Son­ne schla­fen­de Kat­zen und Hun­de, er sah die bun­te, flat­tern­de Wä­sche im Wind,
die Pfer­de auf der Wei­de, und im­mer noch stand die Frau mit Klam­mern in den
Hän­den auf der Wie­se und häng­te lan­ge Rei­hen von Hem­den auf. Er sah es und
ge­hör­te da­zu, mehr jetzt als vie­le Jah­re vor­her. Es schmolz et­was in ihm, weich
und feucht stieg es auf, ein ver­brann­ter Acker be­gann zu grü­nen, und ir­gend
et­was in ihm schwang lang­sam zu­rück in ei­ne große Ba­lan­ce.
    Er saß in sei­nem Wa­gen sehr still; er wag­te kaum, sich zu
be­we­gen, um es nicht zu ver­scheu­chen. Es wuchs und wuchs um ihn, es perl­te
hin­un­ter und her­auf, er saß still und glaub­te es noch nicht ganz und fühl­te es
doch und wuß­te, es war da. Er hat­te er­war­tet, der Schat­ten Haa­kes wür­de ne­ben
ihm sit­zen und ihn an­star­ren – und nun saß nur sein Le­ben ne­ben ihm und war
zu­rück­ge­kom­men und sah ihn an. Zwei Au­gen, die durch vie­le Jah­re auf­ge­ris­sen
wa­ren und schwei­gend und un­er­bitt­lich ge­for­dert und an­ge­klagt hat­ten, schlös­sen
sich; ein Mund be­kam Frie­den, und Schre­ckens voll vor­ge­streck­te Ar­me

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