E.M. Remarque
fielen
endlich hinab. Haakes Tod hatte den Tod aus Sybils Gesicht gelöst – es lebte
einen Augenblick und fing dann an, undeutlich zu werden. Es konnte endlich
ruhig werden, und es sank zurück; es würde nun nie wiederkommen, Pappeln und
Linden begruben es sanft, und dann war noch der Sommer da und Bienengesumm und
eine klare, starke, überwachte Müdigkeit, als hätte er viele Nächte nicht
geschlafen und würde nun sehr lange oder nie mehr schlafen.
Er ließ den Talbot in der Rue Poncelet stehen. Im
Augenblick, als der Motor schwieg und er ausstieg, fühlte er, wie müde er war.
Es war nicht mehr die gelöste Müdigkeit der Fahrt, es war ein hohles, leeres
Nur-Schlafen-Wollen. Er ging zum »International«, und es machte ihm Mühe, zu
gehen. Die Sonne lag wie ein Balken auf seinem Nacken. Er dachte daran, daß er
sein Appartement im »Prince de Galles« aufgeben mußte. Er hatte es vergessen.
Er war so müde, daß er einen Augenblick überlegte, ob er es nicht später tun
sollte. Dann zwang er sich und fuhr mit einem Taxi zum »Prince de Galles«. Er
vergaß fast, als er seine Rechnung bezahlt hatte, seinen Koffer holen zu
lassen.
Er wartete in der kühlen Halle. Rechts, in der Bar, saßen
ein paar Leute und tranken Martinis. Er schlief fast ein, bis der Gepäckträger
kam. Er gab ihm ein Trinkgeld und nahm ein Taxi. »Zum Gare de l’Est«, sagte er.
Er sagte es so laut, daß der Portier und der Träger es deutlich hören konnten.
An der Ecke der Rue de la Boëtie ließ er halten. »Ich
habe mich um eine Stunde geirrt«, sagte er zu dem Taxichauffeur. »Bin zu früh.
Halten Sie hier vor dem Bistro.«
Er zahlte, nahm seinen Koffer, ging zu dem Bistro und sah
das Taxi verschwinden. Er ging zurück, nahm ein anderes und fuhr zum »International«.
Niemand war unten außer einem Jungen, der schlief. Es war
zwölf Uhr. Die Patronne war beim Mittagessen. Ravic trug den Koffer zu seinem
Zimmer. Er zog sich aus und drehte die Brause an. Er wusch sich lange und
gründlich. Dann rieb er sich mit Alkohol ab. Es machte ihn frischer. Er
verstaute den Koffer und versorgte die Sachen, die darin waren. Er zog frische
Wäsche und einen anderen Anzug an und ging hinunter zu Morosow.
»Ich wollte gerade zu dir«, sagte Morosow. »Heute ist
mein freier Tag. Wir können im ›Prince de Galles‹ …« Er verstummte und sah
Ravic genauer an.
»Nicht mehr nötig«, sagte Ravic.
Morosow sah ihn an. »Erledigt«, sagte Ravic. »Heute
morgen. Frag mich nicht. Ich will schlafen.«
»Brauchst du noch was?«
»Nichts. Alles Erledigt. Glück.«
»Wo ist der Wagen?«
»Rue Poncelet. Alles in Ordnung.«
»Nichts weiter zu tun?«
»Nichts. Habe plötzlich verdammte Kopfschmerzen. Will
schlafen. Ich komme später ’runter.«
»Gut. Ist nichts mehr zu erledigen?«
»Nein«, sagte Ravic. »Nichts mehr, Boris. Es war
einfach.«
»Du hast nichts vergessen?«
»Ich glaube nicht. Nein. Ich kann das jetzt nicht noch
einmal durchkauen. Muß erst schlafen. Später. Bleibst du hier?«
»Natürlich«, sagte Morosow.
»Gut. Ich komme dann herunter.«
Ravic ging zurück in sein Zimmer. Er hatte auf einmal
schwere Kopfschmerzen. Er stand eine Weile am Fenster. Unter ihm schimmerten
die Lilien des Emigranten Wiesenhoff. Gegenüber die graue Wand mit den leeren
Fenstern. Es war alles zu Ende. Es war richtig und gut und mußte so sein, aber
es war zu Ende, und da war kein Weiter mehr. Es war nichts mehr da. Nichts mehr
von ihm. Morgen war sein Name ohne Sinn. Steil vor seinem Fenster fiel der Tag
ab.
Er zog sich aus und wusch sich noch einmal. Er ließ seine
Hände lange im Alkohol und ließ sie in der Luft trocknen. Die Haut spannte sich
um die Gelenke der Finger. Sein Kopf war schwer, und sein Gehirn schien wie
lose darin umherzurollen. Er holte eine Injektionsspritze und kochte sie in
einem kleinen
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