E.M. Remarque
und seinen damaligen Freund Paul (Meßmann statt
Bäumer), »mit dem er gespielt hatte, die Schule besuchte, von dem er
unzertrennlich gewesen war«, der jetzt dalag, »den Magen und Bauch aufgerissen,
die Eingeweide hervorquellend«. Die Verflechtung der Erinnerungen mit dem
kommenden Zweiten Weltkrieg ist überdeutlich.
In Remarques späterem Rußlandkriegsroman Zeit zu leben
und Zeit zu sterben (1954) spielt ein Ludwig Fresenburg, der also den
gleichen Namen trägt wie Ravic und ebenfalls Weltkrieg-I-Teilnehmer ist, eine
wichtige Kontrastrolle zur Figur des jungen Mitläufers mit schlechtem Gewissen,
Ernst Graeber.Fresenburg hat sich 1939 freiwillig gemeldet, weil er sich
damals »eingeredet hat, »das Vaterland nicht im Stich lassen zu wollen, wenn es
im Kriege war« 4 , und er kommt zu der Einsicht nach drei Jahren
Rußland-Front und drei Jahren Wüten der deutschen Soldateska unter russischen
Menschen, daß die Deutschen im Grunde untilgbare Schuld auf sich geladen haben:
Wir haben gehaust wie Attila und Dschingis-Khan.
Wir haben jeden Vertrag gebrochen und das menschliche Gesetz.
Und zum Schluß verspricht er seinem jungen Freund Ernst
Graeber:
Wir werden lieber dafür sorgen, daß dies nie
wieder passierten kann. 5
Es kann kein Zufall sein, daß Remarque den tatsächlichen
Namen seines Arc de Triomphe-Helden Ravic in dieser Form wieder
aufgreift. Möglicherweise reagiert er damit in der ihm eigenen Weise auf eine
problematisch erscheinende Haltung, die in seiner Ravic-Figur angelegt ist. Der
Arzt mit dem dritten falschen Namen ist ein zynischer Beobachter des »Abendrots
der Zivilisation«, einer »müden, gestaltlosen Gottesdämmerung«. Zwar verkörpert
er in seinem persönlichen Einsatz für die gesellschaftlich Schwachen, die
Kranken und Verfolgten Humanität im besten Sinne, aber er bleibt politisch
inaktiv, wenn es um Gegenwehr gegen die Katastrophe geht. Insofern ist er
selbst ein Teil der Walroßherde, die er beschreibt. Das erlebte Grauen des
Spanischen Bürgerkriegs, in dem Ravic auf republikanischer Seite als Arzt
mitgekämpft hat, ist im Arc de Triomphe ständig präsent. Aber nach der
Niederlage gegen die spanischen Falangisten und ihre Hilfstruppen der deutschen
Wehrmacht scheint er resigniert und fatalistisch, ergeben in die Hinnahme der
faschistischen Unrechtstaten.
Erst als durch das
Auftauchen seines Gestapo-Folterknechts Haake die antihumanen Kräfte in der
Konkretisierung eines mitleidlosen, das Böse der Macht verkörpernden Menschen
für ihn persönlich greifbar werden, bricht bei Ravic die bis dahin von ihm
sorgfältig (unter anderem durch ständiges Trinken in schlaflosen Nächten)
abgeschottete Wand der Vergangenheitsverdrängung zusammen. Aus der immer
unterschwellig vorhandenen »Hoffnung auf Rache« erwächst nunmehr ein aktives
Widerstandspotential. Der silberne Mondschein über dem Arc de Triomphe wird ihm
zum »grünen Licht der Rache«.
In einem Alptraum zu Beginn des Kapitels 15 sieht er zum
Schluß der Horrorvisionen »hinter sich ein Gesicht, hämisch lächelnd, Haakes
Gesicht«. Er hatte in all den Jahren, insbesondere nach der erfahrenen Ohnmacht
gegenüber der neuen Herrschaft des deutschen Volkes und nach der bitteren
Enttäuschung der Niederlage der Humanität im Spanischen Bürgerkrieg, seine
»Wünsche mit Zynismus erwürgt, die Erinnerungen mit Härte begraben und
eingestampft, alles von sich heruntergerissen bis zum Namen, die Gefühle
zementiert«.
Nach dem Auftauchen Haakes in der Alptraumversion kommt
es zu einem langen inneren Monolog. Sein bisheriges Leben nennt er: »Saufen
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