E.M. Remarque
Emigranten standen in den Katakomben. Wie die ersten
Christen, dachte Ravic. Die ersten Europäer. Ein Mann in Zivil saß vor einem
Schreibtisch unter der künstlichen Palme und nahm die Personalien auf.
Zwei Polizisten bewachten die Türen, aus denen niemand
entfliehen wollte.
»Paß?« fragte der Polizist Ravic.
»Nein.«
»Andere Papiere?«
»Nein.«
»Illegal hier?«
»Ja.«
»Warum?«
»Geflohen aus Deutschland. Keine Möglichkeit, Papiere zu
haben.«
»Name?«
»Fresenburg.«
»Vorname?«
»Ludwig.«
»Jude?«
»Nein.«
»Beruf?«
»Arzt.«
Der Mann schrieb. »Arzt?« sagte er dann und nahm einen
Zettel hoch. »Kennen Sie einen Arzt, der Ravic heißt?«
»Nein.«
»Er soll hier wohnen. Wir haben eine Anzeige.«
Ravic sah ihn an. Eugenie, dachte er. Sie hatte ihn
gefragt, ob er zum Hotel ginge, und war so überrascht gewesen, daß er noch frei
war.
»Ich sagte Ihnen ja, daß niemand hier wohnt, der so
heißt«, erklärte die Wirtin, die neben der Tür zur Küche stand.
»Seien Sie ruhig«, sagte der Mann mißmutig. »Sie werden
ohnehin bestraft, weil Sie diese Leute hier nicht angemeldet haben.«
»Darauf bin ich stolz. Wenn Menschlichkeit bestraft wird,
nur immer zu.«
Der Mann sah aus, als wolle er antworten; aber er
unterbrach sich selbst und winkte ab. Die Wirtin starrte ihn herausfordernd an.
Sie hatte höhere Protektion und fürchtete nichts.
»Packen Sie Ihre Sachen«, sagte der Mann zu Ravic.
»Nehmen Sie Wäsche und zu essen für einen Tag mit. Decke auch, wenn Sie eine
haben.«
Ein Polizist ging mit hinauf. Die Türen zu vielen Zimmern
standen offen. Ravic nahm seinen Koffer, der längst gepackt war, und seine Decke.
»Weiter nichts?« fragte der Polizist ihn.
»Weiter nichts.«
»Das andere lassen Sie hier?«
»Das andere lasse ich hier.«
»Das auch?« Der
Polizist zeigte auf den Tisch neben dem Bett, auf dem die kleine, hölzerne
Madonna stand, die Joan Ravic im Anfang ins »International« geschickt hatte.
»Das auch.«
Sie gingen hinunter. Clarissa, das elsässische
Dienstmädchen, gab Ravic ein Paket. Ravic sah, daß die anderen die gleichen
Pakete hatten. »Zu essen«, erklärte die Wirtin. »Damit Sie nicht verhungern. Ich
bin überzeugt, daß nichts vorbereitet ist, wohin Sie kommen.«
Sie starrte den Zivilisten an. »Reden Sie nicht soviel«,
sagte der ärgerlich. »Ich habe den Krieg nicht erklärt.«
»Die hier auch nicht.«
»Lassen Sie mich in Ruhe.« Er blickte auf den Polizisten.
»Fertig? Führen Sie sie hinaus.«
Der dunkle Haufe setzte sich in Bewegung. Ravic sah den
Mann mit der Frau, die die Kakerlaken gesehen hatte. Der Mann stützte die Frau
mit dem freien Arm. Unter dem andern hatte er einen Koffer; einen zweiten hielt
er in der Hand. Der Junge schleppte ebenfalls einen Koffer.
Der Mann sah Ravic flehentlich an.
Ravic nickte. »Ich habe Instrumente und Medizin bei mir«,
sagte er. »Keine Angst.«
Sie stiegen auf den
Lastwagen. Der Motor knatterte. Der Wagen fuhr an. Die Wirtin stand unter der
Tür und winkte. »Wohin fahren wir?« fragte jemand einen der Polizisten.
»Ich weiß es nicht.«
Ravic stand neben Rosenfeld und dem falschen Aaron
Goldberg. Rosenfeld trug eine Rolle unter dem Arm. Darin waren Cezanne und der
Gauguin.
Sein Gesicht arbeitete. »Das spanische Visum«, sagte er.
»Abgelaufen, bevor ich ...«
Er brach ab.
»Der Totenvogel ist weg«, sagte er dann. »Markus Meyer.
Gestern nach Amerika.«
Der Wagen schüttelte. Alle standen dicht aneinandergepreßt.
Kaum jemand sprach. Sie fuhren um eine Ecke. Ravic sah den Fatalisten
Seidenbaum. Er stand ganz in die Ecke gedrückt. »Da sind wir wieder einmal«,
sagte er.
Ravic suchte nach einer Zigarette. Er fand keine. Aber er
erinnerte sich, genug eingepackt zu
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