E.M. Remarque
Tricolore der Grande Nation zerreißt vor den Wolken und sieht aus,
»als versinke dort ein zerfetztes Banner in der langen tiefer werdenden
Dunkelheit« (S. 63). Eine Frau neben Ravic sagt:
Mein Mann ist im letzten Krieg gefallen. Jetzt
ist mein Sohn dran … Wer weiß, was noch kommen wird – (S. 63).
Doch die Zahl der Toten des Ersten Weltkriegs betrug »nur«
rund 10 Millionen, im Zweiten Weltkrieg zeigte sich, daß die Barbarei des 20.
Jahrhunderts noch steigerungsfähig war. Der Rahmen des Zeit-, Exil- und
Antikriegsromans Arc de Triomphe ist gesetzt. Es ist die kurze Spanne
vom November 1938 bis zum September 1939, in der von vielen Seiten, außer von
Nazideutschland, versucht wurde, die drohende Katastrophe noch abzuwenden. Aber
da das deutsche Volk nicht in der Lage war, die eigene kriegslüsterne Regierung
und Armee von dem Gang in die Katastrophe abzuhalten, fand sich in den
Nachbarländern zunächst nicht die Bereitschaft, den Widerstand, der Aufgabe der
Deutschen gewesen wäre, selber zu übernehmen. Ravic, der exilierte Deutsche,
der in seinem Kampf gegen die Nazis der Mehrheit seiner Landsleute unterlegen
war, die die Nazis gestützt hatten, bemerkt zu dieser Situation bitter:
Jeder wußte, daß die Welt apathisch in einen
neuen Krieg hineintrieb. Niemand hatte etwas dagegen – Aufschub, noch ein Jahr
Aufschub – das war alles, worum man sich aufraffte zu kämpfen.
Ravic vergleicht die ihn in Paris umgebende Gesellschaft im
letzten Vorkriegsjahr mit einer »Walroßherde«, die sich »eines nach dem anderen
mit der Keule« von dem »Jäger« – das ist für Ravic das Deutsche Reich in seiner
militanten Kriegspolitik – erschlagen lassen. »Die Geschichte der europäischen
Walrosse« ist aber auch die Geschichte der Deutschen, die sich von ihrem Führer
und ihren Führern wieder und wieder auf die Schlachtstätte treiben lassen. Am
Ende des Romans greift Remarque das Eingangsthema des Waffenstillstandstages
wieder auf, diesmal durch den Mann an der Tankstelle, als Ravic nach der
Beseitigung der Leiche Haakes nach Paris fährt, der Kriegserklärung entgegen.
Der Mann sagt hilflos und tapfer-resigniert:
Mein Vater fiel im letzten Krieg. Mein Großvater
1871. Ich gehe morgen. Es ist immer dasselbe. Seit ein paar hundert Jahren
machen wir das nun schon. Und es nützt nichts, wir müssen wieder gehen.
Ravic weiß, daß dieses unser Jahrhundert »das lausigste,
blutigste, korrupteste, farbloseste, feigste und dreckigste« ist, aber
trotzdem muß er darin leben, und er versucht zu überleben: »das einfache,
starke, direkte Leben« zu leben und auszufüllen, so gut es eben geht, »zwischen
Katastrophe und Katastrophe«, obwohl er genau weiß: »Die Welt fährt eifrig
fort, ihren Selbstmord vorzubereiten und sich gleichzeitig darüber
hinwegzutäuschen«. Aber er stellt sich, genauso wie die weltweite Leserschaft
Remarques, immer wieder die Frage des »Warum?« Warum sind Minderheiten
immer wieder in der Lage, die große Mehrheit gegen ihren ausdrücklichen
Friedenswunsch und Friedenswillen in Kriege und Katastrophen zu hetzen? Auch
Ravic weiß zunächst keine Antwort, außer daß wir eben Walrosse sind, wenn wir
uns wie Walrosse verhaken.
II.
Ludwig Fresenburg, der Held des Arc de Triomphe, dessen
wirklichen Namen wir erst auf der vorletzten Seite erfahren, ist ein Veteran
des Ersten Weltkriegs. Seine Erinnerungen an das Grauen des Frontgeschehens
durchziehen den Roman als ständige Vorahnung des Kommenden. Die Assoziationen
an und Hinweise auf Remarques pazifistischen Erfolgsroman Im Westen nichts
Neues sind zahlreich, bis auf die Namensgebung. Ravic erinnert sich an den
Gruppenführer Katczinsky
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