E.M. Remarque
Blindschleiche!»
Eduard
kommt heran. Er versteht nicht, was los ist. Sein Blick gleitet unter den
Tisch. Dort ist niemand versteckt, und ein Geist kann nicht so gebrüllt haben.
Wir auch nicht, das weiß er. Er vermutet irgendeinen Trick. «Ich muß doch sehr
bitten», sagt er schließlich, «in meinem Lokal kann man nicht solchen Lärm
machen.»
Niemand
antwortet. Wir sehen ihn nur mit leeren Augen an. Renée de la Tour
pudert sich. Eduard
dreht sich um und geht.
«Wirt!
Kommen Sie mal her!» brüllt plötzlich die Donnerstimme von vorher hinter ihm
her.
Eduard
schießt herum und starrt uns an. Wir alle haben noch dasselbe leere Lächeln auf
unseren Schnauzen. Er faßt Renée de la Tour ins Auge. «Haben Sie da eben –?»
Renée
klappt ihre Puderdose zu. «Was?» fragt sie in einem silberhellen, zarten
Sopran. «Was wollen Sie?»
Eduard
glotzt. Er weiß nicht mehr, was er denken soll.
«Sind
Sie vielleicht überarbeitet, Herr Knobloch?» fragt Georg. «Sie scheinen
Halluzinationen zu haben.»
«Aber
da hat doch jemand gerade ...»
«Du
bist verrückt, Eduard», sage ich. «Du siehst auch schlecht aus. Geh auf Urlaub.
Wir haben kein Interesse daran, deinen Angehörigen einen billigen Hügelstein
aus imitiertem italienischem Marmor zu verkaufen, denn mehr bist du nicht wert
...»
Eduard
klappert mit den Augen wie ein alter Uhu.
«Sie
scheinen ein merkwürdiger Mensch zu sein», sagt Renée de la Tour in
flötenhaftem Sopran. «Dafür, daß Ihre Kellner nicht hören können, machen Sie
Ihre Gäste verantwort‘ich.»
Sie
lacht – ein entzückendes, sprudelndes Gequirl von Silber und Wohllaut, wie ein
Waldbach im Märchen.
Eduard
faßt sich an die Stirn. Sein letzter Halt schwindet. Das Mädchen kann es auch
nicht gewesen sein. Wer so lacht, hat keine solche Kommißstimme. «Sie können
gehen, Knobloch», erklärt Georg nachlässig. «Oder haben Sie die Absicht, an der
Unterhaltung teilzunehmen?»
«Und
iß nicht so viel Fleisch», sage ich. «Vielleicht kommt es davon! Was hast du
uns vorhin noch erklärt? Nach den neuesten wissenschaftlichen Forschungen ...»
Eduard
dreht sich rasch um und haut ab. Wir warten, bis er weit genug weg ist. Dann
beginnt Willys mächtiger Körper in lautlosem Gelächter zu beben. Renée de la
Tour lächelt sanft. Ihre Augen funkeln.
«Willy»,
sage ich. «Ich bin ein oberflächlicher Mensch, und dieses war deshalb einer der
schönsten Momente meines jungen Lebens – aber jetzt erkläre uns, was los ist!»
Willy
zeigt, bebend vor schweigendem Gebrüll, auf Renée.
«Excusez,
Mademoiselle», sage ich. «Je me ...»
Willys
Gelächter verstärkt sich bei meinem Französisch.
«Sag’s
ihm, Lotte», prustet er.
«Was?»
fragt Renée mit züchtigem Lächeln, aber plötzlich in leisem, grollendem Baß.
Wir
starren sie an. «Sie ist Künstlerin», würgt Willy hervor. «Duettistin. Sie
singt Duette. Aber allein. Eine Strophe hoch, eine tief. Eine im Sopran, eine
im Baß.»
Das
Dunkel lichtet sich. «Aber der Baß ...» frage ich.
«Talent!»
erklärt Willy. «Und dann natürlich Fleiß. Ihr solltet mal hören, wie sie einen
Ehestreit nachmacht. Lotte ist fabelhaft!»
Wir
geben das zu. Das Gulasch erscheint. Eduard umschleicht, von ferne beobachtend,
unsern Tisch. Sein Fehler ist, daß er immer herausfinden muß, warum etwas
geschieht. Das verdirbt seine Lyrik und macht ihn mißtrauisch im Leben.
Augenblicklich grübelt er über den mysteriösen Baß nach. Er weiß nicht, was ihm
noch bevorsteht. Georg Kroll, ein Kavalier der alten Schule, hat Renée de la
Tour und Willy gebeten, seine Gäste zu sein, um den Sieg zu feiern. Er wird für
das vorzügliche Gulasch dem zähneknirschenden Eduard nachher vier Papierstücke
einhändigen, für deren Gesamtwert man heute kaum noch ein paar Knochen mit
etwas Fleisch daran kaufen kann.
Es
ist
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