E.M. Remarque
zuviel
erscheint, zu sterben, um es zu erreichen.
Ich
kann sie nicht weghalten. Von irgendwo ist ihr eine Stärke zugeweht, gegen die
ich nur Gewalt anwenden könnte, um sie abzuwehren. Um es zu vermeiden, ziehe
ich sie an mich. Sie ist so hilfloser, aber sie ist jetzt näher bei mir, ihre
Brüste drängen sich gegen meine Brust, ich fühle ihren Körper in meinen Armen
und ich spüre, wie ich sie dichter an mich ziehe. Es geht nicht, denke ich, sie
ist krank, es ist Vergewaltigung, aber ist nicht alles Vergewaltigung, immer?
Ihre Augen sind dicht vor mir, leer und ohne Erkennen, starr und durchsichtig.
«Angst», flüstert sie. «Immer hast du Angst!»
«Ich
habe keine Angst», murmele ich.
«Wovor?
Wovor hast du Angst?»
Ich
antworte nicht. Es ist plötzlich keine Angst mehr da. Isabelles graublaue
Lippen pressen sich gegen mein Gesicht, kühl, nichts an ihr ist heiß, ich aber
fröstle von einer kalten Hitze, meine Haut zieht sich zusammen, nur mein Kopf
glüht, ich spüre Isabelles Zähne, sie ist ein schmales, aufgerichtetes Tier,
sie ist ein Schemen, ein Geist aus Mondlicht und Gier, eine Tote, eine lebende,
auferstandene Tote, ihre Haut und ihre Lippen sind kalt, Grauen und eine
verbotene Lust wirbeln durcheinander, ich reiße mich mit Gewalt los und stoße
sie zurück, daß sie fällt –
Sie
steht nicht auf. Sie kauert am Boden, eine weiße Eidechse, und zischt Flüche
gegen mich, Beleidigungen, einen Strom von geflüsterten Fuhrmannsflüchen,
Soldatenflüchen, Hurenflüchen, Flüchen, die ich nicht einmal alle kenne,
Beleidigungen, die treffen wie Messer und Peitschenhiebe, Worte, die ich nie bei
ihr vermutet hätte, Worte, auf die man nur mit den Fäusten antwortet.
«Sei
ruhig», sage ich.
Sie
lacht. «Sei ruhig!» macht sie mich nach. «Das ist alles, was du weißt! Sei
ruhigl Geh zum Teufel!» zischt sie plötzlich lauter. «Geh, du Jammerlappen, du
Eunuch ...»
«Halt
den Mund», sage ich aufgebracht. «Oder ...»
«Was,
oder? Versuch es doch!» Sie wölbt sich mir entgegen wie ein Bogen, auf dem
Boden, die Hände rückwärts gestützt, in einer schamlosen Gebärde, den Mund
geöffnet zu einer verächtlichen Grimasse.
Ich
starre sie an. Sie sollte mich anwidern, aber sie widert mich nicht an. Sie hat
selbst in dieser obszönen Stellung nichts mit Hurentum zu tun, trotz allem, was
sie ausspeit und tut, es ist etwas Verzweifeltes und Wildes und Unschuldiges
darin und in ihr, ich liebe sie, ich möchte sie hochnehmen und forttragen, aber
ich weiß nicht wohin, ich hebe meine Hände, sie sind schwer, ich fühle mich
trostlos und hilflos und kleinbürgerlich und provinziell.
«Scher
dich weg!» flüstert Isabelle vom Boden her. «Geh! Geh! Und komm nie wieder!
Wage nicht, wiederzukommen, du Greis, du Kirchendiener, du Plebejer, du
Kastrat! Geh, du Tölpel, du Narr, du Krämerseele! Wage nicht wiederzukommen!»
Sie
sieht mich an, auf den Knien jetzt, der Mund ist klein geworden, die Augen sind
flach und schieferfarben und böse. Mit einem schwerelosen Satz springt sie auf,
greift den weiten blauen Rock und geht davon, rasch und schwebend, sie tritt
aus der Allee in das Mondlicht auf hohen Beinen, eine nackte Tänzerin, den
blauen Rock wie eine Fahne schwenkend.
Ich
will ihr nachlaufen, ihr zurufen, sich anzuziehen; aber ich bleibe stehen. Ich
weiß nicht, was sie als nächstes tun wird – und mir fällt ein, daß es nicht das
erstemal ist, daß jemand hier oben nackt an der Eingangstür erscheint. Besonders
Frauen tun das oft.
Langsam
gehe ich durch die Allee zurück. Ich ziehe mein Hemd zurecht und fühle mich
schuldig, ich weiß nicht warum.
Spät höre ich Knopf
kommen. Sein Schritt beweist, daß er ziemlich voll ist. Mir ist wahrhaftig
nicht danach zumute, aber gerade deshalb begebe ich mich an das Regenrohr.
Knopf bleibt in
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