E.M. Remarque
und möchte dem fröhlichen Wissenschaftler einen Chloroformlappen in
den Rachen stopfen.
«Na,
sehen Sie! Jetzt kommt es auf die Auslösung an. Die Mutter, die plötzlich keine
Rivalin mehr ist, die Begegnung, sorgfältig vorbereitet – ich arbeite schon
seit einer Woche daran, und alles geht sehr gut, Sie haben ja gesehen, daß
Fräulein Terhoven heute abend schon wieder zur Andacht gegangen ist ...»
«Sie
meinen, Sie haben sie bekehrt? Sie, der Atheist, und nicht Bodendiek?»
«Unsinn!»
sagt Wernicke, etwas ärgerlich über meinen Stumpfsinn. «Darauf kommt es doch
nicht an! Ich meine, daß sie aufgeschlossener wird, zugänglicher, freier –
haben Sie das denn nicht auch gemerkt, als Sie das letztemal hier waren?»
«Ja.»
«Na
sehen Sie!» Wernicke reibt sich wieder die Hände.
«Das
war nach dem ersten starken Schock doch ein recht erfreuliches Ergebnis ...»
«War
der Schock nun auch ein Ergebnis Ihrer Behandlung?»
«Er
gehört dazu.»
Ich
denke an Isabelle in ihrem Zimmer. «Gratuliere», sage ich.
Wernicke
merkt die Ironie nicht, so sehr ist er bei der Sache. «Die erste flüchtige
Begegnung und die Behandlung haben natürlich alles zurückgebracht; das war ja
auch die Absicht – aber seitdem – ich habe große Hoffnungen! Sie verstehen, daß
ich jetzt nichts brauchen kann, was ablenken könnte ...»
«Das
verstehe ich. Nicht mich.»
Wernicke
nickt. «Ich wußte, daß Sie es verstehen würden! Sie haben ja auch etwas von der
Neugier des Wissenschaftlers. Eine Zeitlang waren Sie sehr brauchbar, aber
jetzt – was ist los mit Ihnen? Ist Ihnen zu heiß?»
«Es
ist die Zigarre. Zu stark.»
«Im
Gegenteil!» erklärt der unermüdliche Wissenschaftler. «Diese Brasils sehen
stark aus – sind aber das Leichteste, was es gibt.»
Das
ist manches, denke ich, und lege das Kraut weg. «Das menschliche Gehirn!» sagt
Wernicke fast schwärmerisch.
«Früher
wollte ich mal Matrose und Abenteurer und Forscher im Urwald werden – lachhaft!
Das größte Abenteuer steckt hier!»
Er
klopft sich an die Stirn. «Ich glaube, ich habe Ihnen das schon früher einmal
erklärt.»
«Ja»,
sage ich. «Schon oft.»
Die grünen Schalen der
Kastanien rascheln unter meinen Füßen. Verliebt wie ein Mondkalb, denke ich,
was versteht dieser Tatsachenkaffer schon darunter? Wenn es so einfach wäre!
Ich gehe zum Tor und streife fast an eine Frau, die mir langsam entgegenkommt.
Sie trägt eine Pelzstola und gehört nicht zur Anstalt. Ich sehe ein blasses
verwischtes Gesicht im Dunkeln, und ein Ruch von Parfüm weht hinter ihr her.
«Wer war das?» frage ich den Wächter am Ausgang.
«Eine
Dame für Doktor Wernicke. War schon ein paarmal hier. Hat, glaub’ ich, einen
Patienten hier.»
Die
Mutter, denke ich und hoffe, daß es nicht so sei. Ich bleibe draußen stehen und
starre zur Anstalt hinüber. Wut packt mich, Zorn, lächerlich gewesen zu sein,
und dann ein erbärmliches Mitleid mit mir selber – aber schließlich bleibt
nichts als Hilflosigkeit. Ich lehne mich an eine Kastanie und fühle den kühlen
Stamm und weiß nicht, was ich will und was ich möchte.
Ich
gehe weiter, und während ich gehe, wird es besser. Laß sie reden, Isabelle,
denke ich, laß sie lachen über uns als Mondkälber! Du süßes, geliebtes Leben,
du fliegendes, ungehemmtes, das da sicher trat, wo andere versinken, das
schwebte, wo andere mit Kanonenstiefeln trampeln, aber das sich verstrickte und
blutig riß in Spinnenfäden und an Grenzen, die die anderen nicht sehen – was
wollen sie nur von dir? Wozu müssen sie dich so gierig zurückreißen wollen in
ihre Welt, in unsere Welt, warum lassen sie dir nicht dein Schmetterlingsdasein
jenseits von Ursache und Wirkung und Zeit und Tod? Ist es Eifersucht? Ist es
Ahnungslosigkeit? Oder ist es wahr, was
Weitere Kostenlose Bücher