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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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als wir um die Kir­che bie­gen, kön­nen wir die flie­gen­den, kör­per­lo­sen
Stim­men so­gar ver­ste­hen. Sie sin­gen «Heil’ge Nacht, o gie­ße du ...», und an der
nächs­ten Ecke er­ken­nen wir, wo­her sie kom­men: aus der Po­li­zei­wa­che, in der
Bo­dos ver­haf­te­te Ka­me­ra­den furcht­los ste­hen und wei­ter­sin­gen, oh­ne sich um
et­was zu küm­mern. Bo­do als Di­ri­gent tritt zwi­schen sie, als wä­re das die
all­täg­lichs­te Sa­che von der Welt, und wei­ter geht es: «Schenk dem mü­den Pil­ger
Ruh ...»
    «Herr
Kroll, was soll das?» fragt der Vor­ste­her der Wa­che per­plex.
    «Es
ist die Macht der Mu­sik», er­wi­dert Ge­org. «Ein Ab­schieds­ständ­chen für einen Men­schen,
der in die Welt hin­aus­geht. Harm­los und ei­gent­lich zu för­dern.»
    «Das
ist al­les?»
    «Das
ist al­les.»
    «Es
ist nächt­li­che Ru­he­stö­rung», er­klärt ei­ner der Ver­haf­ter.
    «Wä­re
es auch nächt­li­che Ru­he­stö­rung, wenn sie ,Deutsch­land, Deutsch­land über al­les‘
sän­gen?» fra­ge ich ihn.
    «Das
wä­re was an­de­res!»
    «Wer
singt, stiehlt nicht, mor­det nicht und ver­sucht nicht, die Re­gie­rung zu
stür­zen», er­klärt Ge­org dem Vor­ste­her der Wa­che. «Wol­len Sie den gan­zen Chor
ein­sper­ren, weil er das al­les nicht tut?»
    «Werft
sie raus!» ze­tert der Vor­ste­her. «Aber sie sol­len jetzt ru­hig blei­ben.»
    «Sie
wer­den ru­hig blei­ben. Sie sind kein Preu­ße, wie?»
    «Fran­ke.»
    «Das
dach­te ich mir», sagt Ge­org.
    Wir ste­hen am Bahn­hof.
Es ist win­dig, und nie­mand ist au­ßer uns auf dem Per­ron. «Du wirst mich
be­su­chen, Ge­org», sa­ge ich. «Ich wer­de al­les dar­an­set­zen, die Frau­en dei­ner
Träu­me ken­nen­zu­ler­nen. Zwei bis drei wer­den für dich da sein, wenn du kommst.»
    «Ich
kom­me.»
    Ich
weiß, daß er nicht kom­men wird. «Du bist es al­lein schon dei­nem Smo­king
schul­dig», sa­ge ich. «Wo sonst könn­test du ihn an­zie­hen?»
    «Das
ist wahr.»
    Der
Zug bohrt ein paar glü­hen­de Au­gen in das Dun­kel.
    «Hal­te
die Fah­ne hoch, Ge­org! Du weißt, wir sind un­s­terb­lich.»
    «Das
sind wir. Und du, laß dich nicht un­ter­krie­gen. Du bist so oft ge­ret­tet wor­den,
daß du die Ver­pflich­tung hast, wei­ter durch­zu­kom­men.»
    «Klar»,
sa­ge ich. «Schon der an­dern we­gen, die nicht ge­ret­tet wur­den. Schon Va­len­tins
we­gen.»
    «Un­sinn.
Ein­fach, weil du lebst.»
    Der
Zug braust in die Hal­le, als war­te­ten fünf­hun­dert Leu­te auf ihn. Aber nur ich
war­te. Ich su­che ein Ab­teil und stei­ge ein. Das Ab­teil riecht nach Schlaf und
Men­schen. Ich zie­he das Fens­ter im Gang auf und leh­ne mich hin­aus. «Wenn man
et­was auf­gibt, braucht man es nicht zu ver­lie­ren», sagt Ge­org. «Nur Idio­ten tun
das.»
    «Wer
re­det schon von Ver­lie­ren», er­wi­de­re ich, wäh­rend der Zug an­zieht. «Da wir
so­wie­so am En­de ver­lie­ren, kön­nen wir uns er­lau­ben, vor­her zu sie­gen wie die
ge­fleck­ten Waldaf­fen.»
    «Sie­gen
die im­mer?»
    «Ja
– weil sie gar nicht wis­sen, was das ist.»
    Der
Zug rollt be­reits. Ich füh­le Ge­orgs Hand. Sie ist zu klein und zu weich, und in
der Schlacht an der Piß­bu­de hat sie Schram­men be­kom­men, die noch nicht heil
sind. Der Zug wird schnel­ler, Ge­org bleibt zu­rück, er ist plötz­lich äl­ter und
blas­ser, als ich dach­te, ich se­he nur noch sei­ne blas­se Hand und sei­nen blas­sen
Kopf, und dann ist nichts mehr da als der Him­mel und das flie­gen­de Dun­kel.
    Ich
ge­he in das Ab­teil. Ein Rei­sen­der mit ei­ner Bril­le rö­chelt in ei­ner Ecke; ein
Förs­ter in ei­ner an­dern. In der drit­ten schnarcht ein fet­ter Mann mit ei­nem
Schnurr­bart; in ei­ner vier­ten gibt ei­ne Frau mit Hän­ge­ba­cken und ei­nem
ver­rutsch­ten Hut seuf­zen­de Tril­ler von sich.
    Ich
spü­re den schar­fen Hun­ger der Trau­rig­keit und öff­ne mei­nen Kof­fer, der im
Ge­päck­netz liegt. Frau Kroll hat mich mit be­leg­ten But­ter­bro­ten bis Ber­lin
ver­se­hen. Ich fin­ge­re da­nach, fin­de sie aber nicht und ho­le den Kof­fer aus dem
Netz. Die Frau mit dem ver­rutsch­ten Hut und den Tril­lern er­wacht, sieht mich
wü­tend an und tril­lert gleich dar­auf her­aus­for­dernd wei­ter. Ich se­he, wes­halb
ich

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